Rechtsprechung KW 28-2016

1. Erbschaft-/Schenkungsteuer

Festsetzung der Erbschaftsteuer für den Vorerbfall nach dem Tod des Vorerben


Die Erbschaftsteuer für den Vorerbfall ist nach dem Tod des Vorerben regelmäßig gegen den Nacherben und nur ausnahmsweise gegen den Erben des Vorerben festzusetzen.

BFH  v. 13.04.2016, II R 55/14

Mit der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft kann der Erblasser erreichen, dass zwei (oder mehr) Erben ihn nacheinander beerben: Er bestimmt, dass sein Vermögen (als Ganzes) zunächst auf eine bestimmte Person als Erben übergehen soll (Vorerbe) und danach zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt auf eine andere Person (Nacherbe), § 2100 BGB.

Der Vorerbe gilt nach § 6 Abs. 1 ErbStG als Erbe. Er erwirbt den Nachlass gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG von Todes wegen und schuldet daher nach § 20 Abs. 1 S. 1 ErbStG die Erbschaftsteuer für diesen Erwerb.

Die Klägerin ist die Alleinerbin der im Januar 2012 verstorbenen Erblasserin, die ihrerseits alleinige Vorerbin ihres im Jahr 2007 verstorbenen Ehemannes war. Das FA setzte die Erbschaftsteuer für den Vorerbfall gegen die Klägerin (Erbin des Vorerben) und nicht gegen den Nacherben fest.

Nach Ansicht des BFH ist die Erbschaftsteuer jedoch nicht gegen den Erben des Vorerben sondern regelmäßig gegen den Nacherben festzusetzen.

In der Regel haftet nach dem Eintritt des Nacherbfalls neben dem Nacherben auch der Vorerbe oder dessen Erbe für die durch den Vorerbfall ausgelöste Erbschaftsteuer. Sie sind insoweit Gesamtschuldner i.S. des § 44 Abs. 1 S. 1 AO und schulden jeweils die gesamte Leistung (§ 44 Abs. 1 S. 2 AO), soweit sich für den Vorerben oder dessen Erben aus § 2145 BGB keine Haftungsbeschränkung ergibt.

Das zuständige Finanzamt hat nach seinem pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 AO) zu entscheiden, gegen welchen Gesamtschuldner es die Erbschaftsteuer festsetzt. Da der Nacherbe im Verhältnis zum Vorerben oder dessen Erben gemäß § 20 Abs. 4 ErbStG die Erbschaftsteuerschuld des Vorerben zu tragen hat, entspricht es regelmäßig pflichtgemäßem Ermessen, die Steuer gegen den Nacherben festzusetzen.




2. Umsatzsteuer

EuGH-Vorlage zum Rechnungsmerkmal „vollständige Anschrift“ (Vorlage V. Senat).


Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Setzt Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraus, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet?

2. Für den Fall, dass Frage 1. zu verneinen ist:

a) Reicht für die Angabe der Anschrift nach Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL eine Briefkastenadresse?

b) Welche Anschrift ist von einem Steuerpflichtigen, der ein Unternehmen (z.B. des Internethandels) betreibt, das über kein Geschäftslokal verfügt, in der Rechnung anzugeben?

3. Ist für den Fall, dass die formellen Rechnungsanforderungen des Art. 226 MwStSystRL nicht erfüllt sind, der Vorsteuerabzug bereits immer dann zu gewähren, wenn keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der Steuerpflichtige die Einbeziehung in einen Betrug weder kannte noch kennen konnte oder setzt der Vertrauensschutzgrundsatz in diesem Fall voraus, dass der Steuerpflichtige alles getan hat, was von ihm zumutbarer Weise verlangt werden kann, um die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überprüfen?

BFH v. 06.04.2016, V R 25/15

EuGH-Vorlage zum Rechnungsmerkmal „vollständige Anschrift“ und zur Berücksichtigung des Gutglaubensschutzes beim Vorsteuerabzug (Vorlage XI. Senat)

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Enthält eine zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL erforderliche Rechnung die „vollständige Anschrift“ i.S. von Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, wo er jedoch keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt?

2. Steht Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL unter Beachtung des Effektivitätsgebots einer nationalen Praxis entgegen, die einen guten Glauben des Leistungsempfängers an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nur außerhalb des Steuerfestsetzungsverfahrens im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens berücksichtigt? Ist Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL insoweit berufbar?

BFH  v. 06.04.2016, XI R 20/14

Hinweis:

Art. 226 MwStSystRL bestimmt zu den für den Vorsteuerabzug obligatorischen Rechnungsangaben, dass die ausgestellte Rechnung den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen und des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers enthalten muss. § 14 UStG bestimmt, dass jede Rechnung den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers enthalten muss.

Die beiden Umsatzsteuersenate des BFH haben mit zwei am selben Tag getroffenen Vorabentscheidungsersuchen den EuGH um die Klärung der Anforderungen gebeten, die im Umsatzsteuerrecht an eine ordnungsgemäße Rechnung zu stellen sind, damit der Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Im Fall des V. Senats erwarb der Kläger, ein KFZ-Händler, von Z, der seinerseits Fahrzeuge im Online-handel vertrieb, PKWs. In den Rechnungen des Z war eine Anschrift angegeben, an der Z zwar Räumlichkeiten angemietet hatte, die aber nicht geeignet waren, um dort geschäftliche Aktivitäten zu entfalten.

Soweit der XI. Senat in seinem Verfahren den EuGH anruft, ging es ebenfalls um einen KFZ-Händler, der von D Fahrzeuge erwarb. Unter der von D in ihren Rechnungen angegebenen Anschrift befand sich zwar ihr statuarischer Sitz; es handelte sich hierbei jedoch um einen "Briefkastensitz", unter der D lediglich postalisch erreichbar war und wo keine geschäftlichen Aktivitäten stattgefunden haben.

In der Sache geht es um die Frage, ob die von einem Unternehmer geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus Rechnungen auch dann abziehbar sind, wenn es sich unter der in den Rechnungen angegebenen Anschrift des Lieferers lediglich um einen "Briefkastensitz" gehandelt hat, oder ob nur die Angabe derjenigen Anschrift des leistenden Unternehmers zum Vorsteuerabzug berechtigt, unter der der leistende Unternehmer seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet.

Beide Senate sehen als klärungsbedürftig an, ob eine zum Vorsteuerabzug erforderliche Rechnung die "vollständige Anschrift" bereits dann enthält, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, oder ob der Vorsteuerabzug die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet.

Die Vorlagen sind erforderlich geworden, weil das Urteil des EuGH vom 22. Oktober 2015 C-277/14 (PPUH Stehcemp, EU:C:2015:719, UR 2015, 917) möglicherweise den Schluss zulässt, dass es für den Vorsteuerabzug nicht auf das Vorliegen aller formellen Rechnungsvoraussetzungen ankommt oder zumindest die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen keine Anschrift voraussetzt, unter der wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet wurden. Der V. Senat hat Zweifel, ob seine bisherige ständige Rechtsprechung, nach der die formellen Rechnungsvoraussetzungen die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet, mit dieser Rechtsprechung des EuGH in Einklang steht. Nach Ansicht des XI. Senats des BFH ist nach der Entscheidung des EuGH im Hinblick auf das Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers möglicherweise nicht entscheidend, ob unter der in der Rechnung angegebenen Adresse i.S. von Art. 226 Nr. 5 MwStSystRl eine wirtschaftliche Tätigkeit des Leistenden ausgeübt wird.

Fehlen formelle Rechnungsvoraussetzungen, kann nach der Rechtsprechung des BFH der Vorsteuerabzug unter bestimmten Voraussetzungen in einem gesonderten Billigkeitsverfahren aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gewährt werden. Beide Senate haben den EuGH in ihren Vorabentscheidungsersuchen insoweit um Klärung der Voraussetzungen für effektiven Vertrauensschutz gebeten.




3. Einkommensteuer

Kein Wegfall des Buchwertprivilegs einer Teilmitunternehmeranteilsübertragung trotz späterer Ausgliederung eines zunächst zurückbehaltenen Wirtschaftsguts


Die Buchwertprivilegierung der unentgeltlichen Übertragung eines Teilmitunternehmeranteils unter Zurückbehaltung eines Wirtschaftsguts des Sonderbetriebsvermögens entfällt nicht deshalb rückwirkend, weil das zurückbehaltene Wirtschaftsgut zu einem späteren Zeitpunkt von dem Übertragenden zum Buchwert in ein anderes Betriebsvermögen übertragen wird.

BFH  v. 12.05.2016, IV R 12/15

Hinweis:

Wird der Anteil eines Mitunternehmers an einem Betrieb unentgeltlich übertragen, so ist bei der Ermittlung des Gewinns des bisherigen Betriebsinhabers (Mitunternehmers) der Buchwert anzusetzen (§ 6 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG). Dies gilt gemäß § 6 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 EStG auch bei der unentgeltlichen Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils (Teilmitunternehmeranteils). Nach § 6 Abs. 3 S. 2 EStG wird die Übertragung des Teilmitunternehmeranteils zum Buchwert auch dann angeordnet, wenn der bisherige Betriebsinhaber (Mitunternehmer) Wirtschaftsgüter, die weiterhin zum Betriebsvermögen derselben Mitunternehmerschaft gehören, nicht überträgt, sofern der Rechtsnachfolger den übernommenen Mitunternehmeranteil über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nicht veräußert oder aufgibt.

Im Urteilsfall hatte der Vater seinen Gesellschaftsanteil (Mitunternehmeranteil) an einer KG teilweise auf seinen Sohn übertragen. Ein Grundstück, das auf Grund der Vermietung an die KG zum sog. Sonderbetriebsvermögen des Vaters gehörte, behielt er zurück. Zwei Jahre später übertrug der Vater das Grundstück auf eine von ihm gegründete Grundstücksgesellschaft. Das Finanzamt hatte die Schenkung zunächst einkommensteuerneutral behandelt, wollte dann aber wegen der Grundstücksübertragung rückwirkend alle stillen Reserven in dem auf den Sohn übertragenen KG-Anteil besteuern.

Anders entschied der BFH. Nach dem Urteil steht die spätere Übertragung zurückbehaltener Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens - hier des Grundstücks - der einmal gewährten Buchwertprivilegierung für die Schenkung des Teilmitunternehmeranteils nicht entgegen. Lediglich für den Beschenkten sieht § 6 Abs. 3 S. 2 EStG eine Haltefrist vor. Abweichendes ergibt sich weder aus dem Gesetzeszweck noch aus der Gesetzgebungshistorie. Maßgeblich war somit, dass der Vater seinen Gesellschaftsanteil nur teilweise auf den Sohn übertragen, im Übrigen aber behalten hatte. Kern der Entscheidung ist, dass der BFH eine Haltefrist für den Übertragenden ausdrücklich verneint. Anders als für den Beschenkten bestehen daher für den Schenker keine Haltefristen in Bezug auf sein zurückbehaltenes Vermögen.

Ausdrücklich stellte der BFH nochmals klar, dass er trotz der Einwendungen der Finanzverwaltung (Nichtanwendungserlass des BMF vom 12.09.2013) an seiner gefestigten Rechtsprechung zu § 6 Abs. 3 S. 1 EStG (BFH-Urteile vom 02.08.2012, IV R 41/11 und vom
09.12.2014, IV R 29/14) festhält. Danach ist das Buchwertprivileg auch für die unentgeltliche Übertragung einer bis zum Übertragungszeitpunkt verkleinerten, aber weiterhin funktionsfähigen betrieblichen Einheit zu gewähren.




4. Internationales Steuerrecht

Begriff „Wirtschaftlicher Zusammenhang) in § 34c Abs. 1 S. 4 EStG


Ob Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen mit den ausländischen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen i.S. des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, bestimmt sich nach dem Veranlassungsprinzip (§ 4 Abs. 4 EStG).

Weisen die Aufwendungen sowohl mit ausländischen Einkünften i.S. des § 34d EStG als auch mit inländischen Einkünften oder mit mehreren Arten von ausländischen Einkünften einen Veranlassungszusammenhang auf, so sind sie aufzuteilen oder den Einkünften zuzurechnen, zu denen sie vorwiegend gehören.

Diese Zurechnungsgrundsätze verstoßen weder gegen Verfassungs- noch gegen Unionsrecht.

BFH  v. 06.04.2016, I R 61/14

Hinweis:

Gem. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG ist für die Anrechnung ausländischer Steuern eine Verhältnisrechnung zwischen den ausländischen und den gesamten vom Unternehmen erzielten Einkünften vorzunehmen. Die ausländischen Einkünfte mindern sich um Betriebsausgaben, die mit den ausländischen Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen.

Die Klägerin - eine Krankenversicherung - erzielte Erträge aus ausländischen Kapitalanlagen, von denen ausländische Quellensteuern einbehalten wurden. Sie rechnete die Quellensteuern in vollem Umfang auf die inländische Körperschaftsteuer an. Das FA folgte dem nicht und kürzte bei der Ermittlung des anrechenbaren Quellensteuerbetrages die ausländischen Einnahmen der Klägerin um Teile der rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen Zinsen, die die Klägerin als kalkulatorischen Positionen bei der Zuführung zu der von ihr gebildeten Alterungs- bzw. Deckungsrückstellung und der Rückstellung für Beitragsrückerstattung nach versicherungsaufsichtsrechtlichen Regelungen berücksichtigt hatte.

Der Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs ist in § 34c Abs. 1 S. 4 EStG nicht definiert. Er bestimmt sich nach Ansicht des BFH nach dem allgemeinen Veranlassungsprinzip. Dafür spricht zunächst die Bedeutung des Begriffs des wirtschaftlichen Zusammenhangs in anderen Rechtsnormen. Soweit im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nach § 50 Abs. 1 S. 1 EStG für die Berücksichtigung von Betriebsausgaben und Werbungskosten ein wirtschaftlicher Zusammenhang zu inländischen Einkünften erforderlich ist, müssen die Aufwendungen durch die inländischen Einkünfte veranlasst sein. Dies entspricht auch der abkommensrechtlichen Zuordnung von Aufwendungen. Ebenfalls i.S. eines Veranlassungszusammenhangs ist der nach § 3c Abs. 2 S. 1 EStG erforderliche wirtschaftliche Zusammenhang mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden teilweise steuerbefreiten Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen auszulegen.

Diese Zurechnungsgrundsätze verstoßen weder gegen Verfassungs- noch gegen Unionsrecht.

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