Auswertung aktueller Aufsätze - KW 28-2016

1. Verfahrensrecht

1.1. DStR

Gerichtliche Überprüfbarkeit ablehnender Stundungsentscheidungen des Finanzamts


Wackerbeck, DStR 27/2016, S. 1.514

Anmerkung:

Gem. § 222 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Die beiden Voraussetzungen der Stundung müssen kumulativ erfüllt sein

Die Tatbestandsvoraussetzung des „Vorliegens einer erheblichen Härte“ ist als unbestimmter Rechtsbegriff nach Ansicht des Verfassers vollumfänglich durch die Gerichte überprüfbar.

Die Tatbestandsvoraussetzung der „Nichtgefährdung des Steueranspruchs“ stellt hingegen einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum dar, der nur eingeschränkt auf Prognosefehler des FA gerichtlich überprüfbar sei.

Bei der Prognose zur Nichtgefährdung des Steueranspruchs ist ein Vergleich der Vermögenslage des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Stundung mit der prognostizierten Vermögenslage zum Ende des Stundungszeitraums anzustellen. Eine Gefährdung des Steueranspruchs durch die Stundung ist dann nicht gegeben, wenn eine Verschlechterung der Vermögenslage nicht zu erwarten ist. Soweit die Behörde eine Verbesserung der Vermögenslage des Steuerpflichtigen bzw. eine Erfüllung durch Ratenzahlung verlangt, stellt dies in aller Regel einen Prognosefehler dar.

Aufgrund der Tatsache, dass die beiden Tatbestandsvoraussetzungen der Stundung kumulativ zu erfüllen sind, verbleibt der Finanzbehörde nach Ansicht des Verfassers auch auf Tatbestandsebene ein nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbarer Entscheidungsspielraum.




2. Umsatzsteuer

2.1. NWB

Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr


Esser, Staib, NWB 28/2016, S. 762

Anmerkung:

Käufer aus dem Drittlandsgebiet nutzen in der letzten Zeit verstärkt den Onlinehandel und bedienen sich für die Kaufabwicklung inländischer Lieferadressen (in der Regel Dienstleister, Paketshops oder Packstationen). Bestellt ein Abnehmer mit Wohnsitz im Drittlandsgebiet Waren bei einem Unternehmer im Inland, wird die Ware vereinbarungsgemäß an eine inländische Lieferadresse versendet, an der der Abnehmer die Ware entgegennimmt und im persönlichen Reisegepäck in das Drittlandsgebiet ausführt. Nach erfolgter Ausfuhr übermittelt der Abnehmer dem Unternehmer den zollamtlichen Ausfuhrbeleg und begehrt die Umsatzsteuererstattung. In diesen Fällen können die Vorschriften über die Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr Anwendung finden.

Für die Steuerbefreiung ist neben dem Buchnachweis noch ein Belegnachweis zu erbringen. Hierfür bedarf es im nichtkommerziellen Reiseverkehr eines Belegs nach § 9 UStDV und zusätzlich eines Abnehmernachweises nach § 17 UStDV. Deshalb sollte der Abnehmer bei der Ausfuhr darauf achten und nötigenfalls auf seinem Recht bestehen, dass die zuständige Ausgangszollstelle den Abnehmernachweis erteilt. Der Unternehmer wird nämlich seinerseits genau darauf achten, dass der Beleg neben einer Bestätigung der Ausfuhr auch den Abnehmernachweis enthält, und die Umsatzsteuer nur bei Vorlage des Ausfuhrbelegs mit Abnehmernachweis erstatten.




3. Einkommensteuer

3.1. NWB

Vorrangige Kindergeldberechtigung eines im EU-Ausland lebenden Elternteils - Anmerkungen zum BFH-Urteil vom 4. 2. 2016 - III R 17/13


Avvento, NWB 28/2016, S. 2.104

Anmerkung:

Mit Urteil v. 04.02.2016, III R 17/13 hat der BFH zur persönlichen Anspruchsberechtigung für Kindergeld bei grenzüberschreitenden Sachverhalten entschieden.

Die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 S. 2 der VO Nr. 987/2009, wonach bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle Beteiligten - insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt - unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats (hier: Deutschland) fallen und dort wohnen, kann dazu führen, dass der Anspruch auf Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG nicht dem in Deutschland, sondern dem im EU-Ausland lebenden Elternteil zusteht. Kann wegen der - nicht nur räumlichen -  Trennung der Eltern nicht fingiert werden, dass diese in Deutschland in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG der Elternteil kindergeldberechtigt, der das Kind in seinem Haushalt aufgenommen hat.

In einem derartigen Fall steht der Kindergeldanspruch auch dann nicht dem in Deutschland lebenden Elternteil zu, wenn der im EU-Ausland lebende Elternteil keinen Antrag auf Kindergeld gestellt hat.

Der in Deutschland wohnende Kläger, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, beantragte für seinen in Polen bei der Kindsmutter lebenden Sohn Kindergeld. Die Kindsmutter hatte keinen Anspruch auf polnische Familienleistungen und auch keinen Antrag auf Familienleistungen nach deutschem oder polnischem Recht gestellt. Nachdem die Familienkasse den Antrag des Klägers abgelehnt und das Finanzgericht der hiergegen erhobenen Klage stattgegeben hatte, war streitig, ob die in Polen lebende Kindsmutter gegenüber dem Kläger vorrangig kindergeldberechtigt ist.

Der BFH entschied, dass der in Polen lebenden Kindsmutter, die den gemeinsamen Sohn in ihren Haushalt aufgenommen hat, ein gegenüber dem Kläger vorrangiger Anspruch auf Kindergeld zusteht. Zwar hatte die von dem Kläger geschiedene Ehefrau in Deutschland tatsächlich weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt. Aus Art. 67 Satz 1 der VO (EG) Nr. 883/2004 i. V. mit Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 folgt jedoch die fiktive Übertragung der Wohnsituation der von dem Kläger geschiedenen Ehefrau in das Inland.

Sind die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person des im Inland lebenden Elternteils erfüllt, kann dem im EU-Ausland lebenden Elternteil, der das gemeinsame Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat, nach nationalem Recht ein vorrangiger Kindergeldanspruch zustehen, sofern neben dem (fiktiven) Wohnsitz auch die übrigen Voraussetzungen für eine vorrangige Anspruchsberechtigung erfüllt sind.

Das Fehlen eines Antrags des im EU-Ausland lebenden Elternteils auf Familienleistungen lässt dabei die Fiktionswirkung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 nicht entfallen. Die Familienkasse hätte vielmehr den inländischen Kindergeldantrag des Kindsvaters für das gemeinsame Kind auch zugunsten des Kindergeldanspruchs der im EU-Ausland lebenden Kindsmutter zu berücksichtigen.

Steuerliche Folgen einer Erpressung für Täter und Opfer – Verbreitung von Cyberkriminalität

Heine, Trinks, NWB 28/2016, S. 2.109

Anmerkung:

Vor allem infolge von Internetkriminalität steigt die Zahl der registrierten Fälle von Internetkriminalität. Als typische Fälle werden von den Verfassern vor allem ransomware-Fälle angeführt. Hier werden Computer durch Trojaner infiziert. Zur Entsperrung der Dateien ist ein Lösegeld zu zahlen.

Besteuerung des Täters

Für Einnahmen aus einer Erpressung kommen nur gewerbliche Einkünfte nach § 15 EStG, subsidiär Einkünfte aus Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG in Betracht. Entscheidend für die steuerliche Eingruppierung ist das Merkmal der Nachhaltigkeit der Betätigung.

Fraglich ist die Beurteilung der Rückzahlung erlangter Löse- und Schutzgelder. Eine Rückgängigmachung der Besteuerung kann erst mit Wirkung für die Zukunft erfolgen. Es entstehen dann negative Einkünfte im Zeitpunkt der Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts. Eine steuerliche Korrektur ist bei gewerblichen Einkünften ggf. nur über § 10d EStG, bei sonstigen Einkünften nur unter den Verrechnungsbeschränkungen des § 22 Nr. 3 S. 3 EStG möglich. Erzielt der Täter in der Zukunft keine weiteren sonstigen Einkünfte, bleibt die ursprüngliche Besteuerung nach Ansicht der Verfasser wirtschaftlich bestehen, weil sich die Rückabwicklung steuerlich dann nicht auswirkt.

Besteuerung des Opfers

Erpressungsgelder sind im Regelfall gemischt veranlasste Aufwendungen i. S. des § 12 Nr. 1 S. 2 EStG, welche mangels Aufteilungsmaßstab insgesamt nicht abzugsfähig sind.

Erpressungsgelder können nicht als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden, wenn der Erpressungsgrund selbst und ohne Zwang geschaffen wurde. Anders verhält es sich nach Ansicht der Verfasser, wenn der Steuerpflichtige allein aufgrund des Umstands, dass er wohlhabend ist, zum Opfer einer Erpressung wird.




4. Internationales Steuerrecht

4.1. Der Betrieb

Scheiden tut weh: Brexit – die steuerlichen und rechtlichen Folgen


Busch, Gegusch, Linn, Mertgen, Peykan, Gresbrand, Hanten, Hilberg, Sierig, Wesche, Wilke, DB 26-27/2016, S. 1.526

Großbritannien hat sich am 23.06.2016 mehrheitlich für einen Austritt von Großbritannien aus der EU (Brexit) entschieden. Für die Austrittsverhanldungen ist eine Zweijahresfrist vorgesehen.

Mit Ende der EU-Mitgliedschaft entfällt im Verhältnis zu Großbritannien der Schutz durch die Richtlinien im Bereich der direkten Steuern (Mutter-Tochterrichtlinie, Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie und Fusionsrichtlinie). Daneben findet das Primärrecht keine Anwendung mehr, was in der Folge dazu führt, dass entsprechende nationale Regelungen, mit denen Steuervergünstigungen auf den EU-/EWR-Raum ausgedehnt wurden, nicht mehr anwendbar sind.

Auch natürliche Personen können in vielfältiger Weise betroffen sein. Zu denken ist u.a. an die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1a EStG, den Spendenabzug nach § 10b Abs. 1 EStG , die Wegzugsteuer nach § 6 AStG (künftig: sofort fällig statt zinslos gestundet) sowie die Begünstigung von EU-/EWR-Betriebsvermögen bei der ErbSt.

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