Rechtsprechung KW 32-2016

1. Verfahrensrecht

Sammelauskunftsersuchen an ein Presseunternehmen - Grundrechtsschutz nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG


Ein Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung, das an ein Presseunternehmen wegen Übermittlung von Personen- und Auftragsdaten zu Anzeigenauftraggebern einer bestimmten Anzeigenrubrik gerichtet ist, kann auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Anzeigenteils für das Presseerzeugnis mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar sein. Dies gilt jedenfalls dann, wenn relativ wenige Anzeigen von dem Auskunftsersuchen betroffen und die Anzeigen nicht bedeutsam für die öffentliche Meinungsbildung sind.

Die in die Zukunft gerichtete Verpflichtung, laufende Auskünfte zu erteilen, bedarf einer besonderen Begründung der Ermessensentscheidung.

Wird ein Auskunftsersuchen während des Klageverfahrens geändert, ist für die gerichtliche Kontrolle auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des geänderten Bescheids abzustellen.

BFH  v. 12.05.2016, II R 17/14

Hinweis:

Nach § 93 Abs. 1 S. 1 AO haben andere Personen als die am Steuerverfahren Beteiligten der Finanzbehörde die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Allerdings sollen sie nach § 93 Abs. 1 S. 3 AO erst dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht.

Nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG werden die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film gewährleistet. Diese Rechte finden nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Im Streitfall richtete die Steuerfahndungsstelle eines Finanzamts (FA) an die Herausgeberin einer Tageszeitung und eines Anzeigenblatts ein Auskunftsersuchen. Das FA verlangte für einen Zeitraum von insgesamt zwei Jahren die Übermittlung von Namen und Adressen sämtlicher Auftraggeber von Anzeigen der Rubrik "Kontakte", in denen sexuelle Dienstleistungen beworben wurden. Das FA begründete sein Auskunftsersuchen u.a. mit einem vom Bundesrechnungshof beanstandeten Vollzugsdefizit bei der Besteuerung der im Rotlichtmilieu tätigen Betriebe und Personen.

Nach Ansicht des BFH kann ein Sammelauskunftsersuchen an ein Presseunternehmen rechtmäßig sein. Zwar umfasst der Schutzbereich der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG grundsätzlich auch den Anzeigenteil von Presseerzeugnissen. Die konkrete Reichweite des Grundrechtsschutzes ergibt sich jedoch erst unter Berücksichtigung der "allgemeinen Gesetze" i.S. des Art. 5 Abs. 2 GG. Von der Pressefreiheit geschützt sind danach nur solche Anzeigen, die für die öffentliche Meinungsbildung bedeutsam sind oder der Kontrollfunktion der Presse dienen. Bei den streitgegenständlichen Anzeigen war dies nicht der Fall. Allein die wirtschaftliche Bedeutung der Anzeigen für das Presseerzeugnis führte ebenfalls nicht zur Unvereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, da nur relativ wenige Anzeigen von dem Auskunftsersuchen betroffen waren.

Einschränkungen bestehen aber für Auskunftsersuchen, die eine in die Zukunft gerichtete Verpflichtung enthalten, laufende Auskünfte zu erteilen. Diese bedürfen einer besonderen Begründung der Ermessensentscheidung. Zudem muss zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ein besonderes Ermittlungsbedürfnis bestehen.

Zur Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist bei ressortfremden Grundlagenbescheiden vor Inkrafttreten von § 171 Abs. 10 Satz 2 AO

Eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 UStG der zuständigen Landesbehörde, dass bestimmte Leistungen einer privaten Schule oder anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten, ist ein Grundlagenbescheid i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, dem Rückwirkung zukommen kann.

Ein solcher Grundlagenbescheid einer ressortfremden Behörde bewirkt nur dann nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO eine Ablaufhemmung, wenn er vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer erlassen wurde.

BFH  v. 20.04.2016, XI R 6/14

Hinweis:

Nach § 4 Nr. 21 Bst. b, bb UStG sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen von der Umsatzsteuer befreit, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.

Nach § 171 Abs. 10 S. 1 AO endet die Festsetzungsfrist, soweit für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder ein anderer Verwaltungsakt bindend ist, nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids.

Die Klägerin betrieb eine Musikschule und erklärte für die Streitjahre 1992 bis 1998 steuerpflichtige Umsätze. Auf Antrag der Klägerin bescheinigte ihr das Landesverwaltungsamt mit Bescheid vom 05.03.2010, dass die von ihr durchgeführten Leistungen unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck der beruflichen Bildung dienten, indem sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiteten. Daraufhin beantragte die Klägerin beim Finanzamt die Erstattung der Umsatzsteuer für die Streitjahre.

Der BFH entschied, dass die Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen für 1992 bis 1998 nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht möglich ist.

Die für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Bst. b UStG a.F (§ 4 Nr. 21 Bst. b, bb UStG n.F.). erforderliche Bescheinigung der zuständigen Behörde - hier die Bescheinigung des Landesverwaltungsamts v. 05.03.2010 - ist ein für die betroffene Umsatzsteuerfestsetzung bindender Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO, dem Rückwirkung zukommen kann und der Grundlage für eine Änderung bestandskräftiger Bescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sein kann.

Allerdings kommt die Anwendung der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO bei ressortfremdenden Grundlagenbescheiden nur dann in Betracht, wenn er vor Ablauf der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid erlassen wurde.

Der AO liegt ein Regelungssystem zugrunde, wonach Grundlagenbescheide, soweit eine ausdrückliche von der Festsetzungsfrist des betreffenden Steuerbescheides (Folgebescheids) abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehlt, steuerrechtlich nur zu berücksichtigen sind, wenn sie innerhalb der Festsetzungsfrist für den betreffenden (Folge-) Steuerbescheid erlassen worden sind. Bei Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden ist § 171 Abs. 10 AO lückenhaft und deshalb aufgrund einer teleologischen Reduktion einschränkend dahingehend auszulegen, dass die von dieser Vorschrift angeordnete Ablaufhemmung voraussetzt, dass der Grundlagenbescheid noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird.

Da bei Erlass des Grundlagenbescheids für die Steuerfestsetzungen der Jahre 1992 bis 1998 schon Festsetzungsverjährung eingetreten war, kam eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen nicht in Betracht.

Zwischenzeitlich wurde durch das ZollkodexAnpG § 171 Abs. 10 AO durch die Einfügung des Satzes 2 angepasst. Danach gilt die Grundregel in § 171 Abs. 10 S. 1 AO für einen Grundlagenbescheid, auf den § 181 AO nicht anzuwenden ist (z. B. ressortfremde Grundlagenbescheide) nur insofern, als dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist bei der zuständigen Behörde beantragt worden ist.




2. Einkommensteuer

Investitionsabzugsbetrag bei unentgeltlicher Betriebsübertragung


Der Inanspruchnahme eines Investitionsabzugsbetrags steht es nicht entgegen, wenn im Zeitpunkt seiner Geltendmachung feststeht, dass die Investition nicht mehr von dem Steuerpflichtigen selbst, sondern aufgrund einer bereits durchgeführten oder feststehenden unentgeltlichen Betriebsübertragung von dem Betriebsübernehmer vorgenommen werden soll.

Voraussetzung dafür ist, dass der Steuerpflichtige bei Fortführung des Betriebs die von ihm benannten Wirtschaftsgüter selbst angeschafft oder hergestellt hätte und er zum maßgeblichen Bilanzstichtag anhand objektiver Kriterien erwarten konnte, dass die Investition nach Übertragung des Betriebs fristgemäß von seinem Rechtsnachfolger zur Nutzung in dem übertragenen Betrieb vorgenommen werden würde.

BFH  v. 10.03.2016, IV R 14/12

Hinweis:

Steuerpflichtige können für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens bis zu 40 % der voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnmindernd abziehen (§ 7g Abs. 1 S. 1 EStG).

Der Kläger betrieb einen LuF-Betrieb. Er übertrug seinem Sohn den Betrieb unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Der Kläger machte im letzten Jahr vor der Betriebsübertragung einen Investitionsabzugsbetrag geltend. Das Finanzamt erkannte den Investitionsabzugsbetrag nicht an, da festgestanden hat, dass der Kläger die Investitionen wegen der bereits erfolgten Übergabe des Betriebs nicht mehr selbst durchführen konnte.

Nach Ansicht des BFH steht es der Inanspruchnahme eines IAB nicht entgegen, wenn im Zeitpunkt der Bildung des IAB feststeht, dass die Investition nicht mehr vom Steuerpflichtigen selbst, sondern aufgrund einer bereits durchgeführten oder feststehenden unentgeltlichen Betriebsübertragung von dem Betriebsübernehmer vorgenommen werden soll.

Es entspricht sowohl dem Förderzweck des § 7g EStG als auch dem Zweck der Buchwertverknüpfung bei unentgeltlicher Betriebsübertragung, einen Investitionsabzugsbetrag auch dann zu gewähren, wenn die beabsichtigte Investition erst von dem Betriebsübernehmer durchgeführt werden kann. Denn der Zweck des Investitionsabzugsbetrags, die Liquidität des Betriebs im Hinblick auf zukünftige Investitionen zu erhalten, wird bei der unentgeltlichen Übertragung gemäß § 6 Abs. 3 EStG regelmäßig erreicht. Typischerweise erfolgt die unentgeltliche Betriebsübergabe, wie auch im Streitfall, im Rahmen der Generationennachfolge. Der Rechtsvorgänger wird die durch die Gewährung des Investitionsabzugsbetrags gewonnene Liquidität weiterhin in Gestalt geringerer Entnahmen zur Finanzierung der Einkommensteuer im Betrieb belassen. Der Liquiditätsvorteil kommt daher regelmäßig dem Betriebsübernehmer, der die Investition tätigen soll, zu Gute. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu der Einbringung eines Betriebs in eine Kapitalgesellschaft, da in diesem Fall nicht unterstellt werden kann, dass der ursprüngliche Betriebsinhaber den Förderbetrag der Kapitalgesellschaft zur Verfügung stellt.

Mit Beschluss v. 14.04.2015, GrS 2/12, BStBl 2015 II S. 1007 hat der Große Senat des BFH entschieden, dass eine Ansparabschreibung nach § 7g EStG a.F. nicht gebildet werden darf, wenn im Zeitpunkt ihrer Geltendmachung feststeht, dass der Betrieb zu Buchwerten in eine Kapitalgesellschaft eingebracht wird.

Mit Urteil v. 27.01.2016, X R 31/11 hat der BFH entschieden, dass eine Ansparabschreibung nach § 7g EStG a.F. nicht vorgenommen werden darf, wenn im Zeitpunkt ihrer Geltendmachung bereits feststeht, dass der Betrieb zu Buchwerten in eine Personengesellschaft eingebracht wird.




3. Umwandlungssteuerrecht

Negativer Geschäftswert bei Einbringung


Übersteigt der Gesamtwert des im Wege der Sacheinlage nach § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995 eingebrachten Betriebsvermögens aufgrund eines sog. negativen Geschäftswerts nicht dessen Buchwert, darf die übernehmende Kapitalgesellschaft die Buchwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens auch dann nicht auf höhere Werte aufstocken, wenn deren Teilwerte die jeweiligen Buchwerte überschreiten.

BFH  v. 28.04.2016, I R 33/14

Hinweis:

Wird ein Betrieb, Teilbetrieb oder ein Mitunternehmeranteil in eine unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Kapitalgesellschaft eingebracht, und erhält der Einbringende dafür neue Anteile an der Gesellschaft (Sacheinlage), darf die Kapitalgesellschaft das eingebrachte Betriebsvermögen nach § 20 Abs. 2 S. 1 UmwStG 1995 mit seinem Buchwert oder mit einem höheren Wert (Zwischenwert) ansetzen. Nach § 20 Abs. 2 S. 6 UmwStG 1995 dürfen bei dem Ansatz des eingebrachten Betriebsvermögens die Teilwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter nicht überschritten werden.

Im Streitfall wurde ein Teilbetrieb in eine Kapitalgesellschaft als Sacheinlage eingebracht. Aufgrund schlechter Ertragsaussichten war der Geschäftswert des Teilbetriebs negativ. Der Gesamtwert des Teilbetriebs war somit geringer als die Summe der Teilwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter. Die übernehmende Kapitalgesellschaft setzte die Wirtschaftsgüter ohne Berücksichtigung des negativen Firmenwerts mit Zwischenwerten an.

Der BFH entschied, dass ein Ansatz der Wirtschaftsgüter mit einem Zwischenwert nicht in Betracht kommt.

Aus dem Veräußerungs- bzw. Anschaffungscharakter der Einbringung ist zu schließen, dass bei Buchwertaufstockungen auf Zwischenwerte die in den einzelnen Wirtschaftsgütern jeweils ruhenden stillen Reserven nicht beliebig aufgestockt werden können, sondern dass die aufzudeckenden stillen Reserven grundsätzlich gleichmäßig auf alle Wirtschaftsgüter des eingebrachten Betriebsvermögens zu verteilen sind. Es liegt in der Konsequenz dieses auf das eingebrachte Betriebsvermögen als Gesamtheit abstellenden Verständnisses, auch bei der Bemessung der Höchstgrenze des Zwischenwertansatzes nach § 20 Abs. 2 Satz 6 UmwStG 1995 die eingebrachte Sachgesamtheit im Auge zu behalten und einen vorhandenen negativen Geschäftswert zu berücksichtigen.

Das Urteil ist zum UmwStG in der Fassung von 1995 ergangen. Unter der Anwendung des UmwStG 2006 wäre der Fall vermutlich nicht anders beurteilt worden, obwohl dort nicht mehr die Teilwerte, sondern die gemeinen Werte maßgeblich sind.
Ob ein negativer Geschäftswert auch zu einer Abstockung der Buchwerte des eingebrachten Aktivvermögens führen kann, ließ der BFH offen. 

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