Verfahrensrecht

Ersetzung des Vorläufigkeitsvermerks in einem Steuerbescheid durch einschränkenden Vorläufigkeitsvermerk in einem späteren Änderungsbescheid

Hat das FA die Steuer unter Bezugnahme auf Gründe i.S. des § 165 Abs. 1 S. 1 und S. 2 AO vorläufig festgesetzt, so bleibt der Vorläufigkeitsvermerk bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung wirksam. Eine stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks durch eine Änderungsveranlagung, auch wenn sie auf eine (andere) Korrekturvorschrift gestützt ist, ist ausgeschlossen.

Keine solche – unwirksame - stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks, sondern dessen inhaltlich neue Bestimmung ist gegeben, wenn dem Änderungsbescheid im Verhältnis zum Ursprungsbescheid ein inhaltlich eingeschränkter Vorläufigkeitsvermerk beigefügt wird. Dies gilt auch, wenn ein sowohl auf § 165 Abs. 1 S. 1 AO als auch auf § 165 Abs. 1 S. 2 AO gestützter Vorläufigkeitsvermerk im geänderten Bescheid durch einen allein auf § 165 Abs. 1 S. 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk ersetzt wird. Die durch einen solchen Vorläufigkeitsvermerk nicht erfassten Teile eines Änderungsbescheides erwachsen in Bestandskraft, soweit sie nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfrist angefochten werden.

BFH  v. 14.07.2015, VIII R 21/13

Hinweis:

Der Steuerpflichtige muss den in einem Änderungsbescheid enthaltenen – geänderten -Vorläufigkeitsvermerk grundsätzlich so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist. Dies gilt auch, wenn ein sowohl auf § 165 Abs. 1 S. 1 AO als auch auf S. 2 dieser Vorschrift gestützter Vorläufigkeitsvermerk im geänderten Bescheid durch einen allein auf § 165 Abs. 1 S. 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk ersetzt wird.





Auskunftsgebühr bei doppelter Antragstellung im Organschaftsfall

Beantragen sowohl Organträger als auch Organgesellschaft einer ertragsteuerlichen Organschaft eine verbindliche Auskunft in Bezug auf den gleichen Sachverhalt, fällt bei beiden Antragstellern eine Auskunftsgebühr an.

BFH  v. 09.03.2016, I R 66/14

Hinweis:

Die Finanzämter und das BZSt können gemäß § 89 Abs. 2 AO auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Gemäß § 89 Abs. 3 S. 1 AO wird für die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft eine Gebühr erhoben. Erteilt das FA einem Steuerpflichtigen auf dessen Antrag hin eine für ihn günstige Auskunft über einen in der Zukunft liegenden Sachverhalt, sind das FA und später ggf. die Finanzgerichte grundsätzlich an den Inhalt der Auskunft gebunden, sodass Planungssicherheit für den Steuerpflichtigen besteht. Seit 2007 ist der Auskunftsantrag gebührenpflichtig; die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem Wert, den die erhoffte Auskunft für den Steuerpflichtigen hat (§ 89 Abs. 3 und 4 der Abgabenordnung).

Im Streitfall hatten der Organträger (eine GmbH) und seine Organgesellschaft (eine AG) im Jahr 2009 beim FA einen gemeinsamen Antrag auf verbindliche Auskunft über ein und denselben Sachverhalt gestellt. Das FA erteilte die Auskunft antragsgemäß und setzte gegenüber beiden Gesellschaften die volle Auskunftsgebühr von jeweils rd. 5.000 € fest.

Der BFH hält die doppelte Gebührenerhebung für gerechtfertigt, weil das Gesetz die Gebühr typisierend an den jeweiligen Antrag knüpft. Es bestehen keine weitergehenden Sonderregelungen, aus denen sich ein Entfallen des Gebührenanspruchs für einen Fall der vorliegenden Art ergibt.

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens wurde ab dem 01.01.2017 geregelt, dass in Fällen der Erteilung einer einheitlichen Auskunft an mehrere Beteiligte nur eine Gebühr erhoben wird.





Erstattungsberechtigter nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO

Ein Bordellbetreiber, der im Rahmen des so genannten Düsseldorfer Verfahrens freiwillig Vorauszahlungen auf die Einkommen- und Umsatzsteuerschuld, der bei ihm tätigen Prostituierten leistet, kann nicht nachträglich deren Rückzahlung an sich gemäß
§ 37 Abs. 2 Satz 1 AO verlangen. Erstattungsberechtigt nach dieser Norm ist nur der Steuerpflichtige selbst und nicht ein Dritter, der für Rechnung des Steuerschuldners leistet.

BFH  v. 12.05.2016, VII R 50/14

Hinweis:

Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags, § 37 Abs. 2 S. 1 AO.

Streitig ist, ob ein Bordellbetreiber die von ihm im Rahmen des Düsseldorfer Verfahrens vereinnahmten und an das FA gezahlten Beträge zurückfordern kann.

Im Rahmen des Düsseldorfer Verfahrens zahlen Bordellbetreiber Vorauszahlungen auf die künftigen Steuerschulden der Prostituierten. Das Düsseldorfer Verfahren wurde vom BFH grundsätzlich als rechtmäßig eingestuft.

Dem Kläger wurde die Erstattung der im Rahmen des Düsseldorfer Verfahrens entrichteten Beträge verweigert.

In Fällen, in denen ein Dritter für Rechnung des Steuerschuldners die Steuer zu entrichten hat, ist grundsätzlich der Steuerschuldner erstattungsberechtigt. Steuerschuldner sind im vorliegenden Fall die im Club des Klägers tätigen Prostituierten und nicht der Kläger. Dem steht nicht entgegen, dass den Zahlungen keine gesetzliche Steuerentrichtungspflicht des Klägers zugrunde gelegen hat. Denn ein Dritter kann auch freiwillig die Leistung für den Steuerschuldner erbringen, wenn dieser nicht in Person leisten muss.

Nichtanschaffung ist kein Tatbestandsmerkmal für die Auflösung der Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.

Löst ein Steuerpflichtiger mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die von ihm gebildete Ansparabschreibung für die geplante Anschaffung eines Wirtschaftsguts nicht spätestens durch Ansatz einer entsprechenden Betriebseinnahme in seiner Gewinnermittlung für den zweiten auf die Bildung folgenden Veranlagungszeitraum auf, so kann das FA den erklärungsgemäß für jenes Jahr ergangenen Einkommensteuerbescheid nicht nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO unter Hinweis auf das spätere Bekanntwerden der Nichtanschaffung des Wirtschaftsguts ändern. Denn die Nichtanschaffung ist kein Tatbestandsmerkmal für die Auflösung der Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. und daher insoweit keine rechtserhebliche Tatsache.

BFH  v. 22.03.2016, VIII R 58/13

Hinweis:

Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache in diesem Sinne ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind demgegenüber Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen.

Der Kläger erzielte Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit und erstellte eine Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG. In seiner Gewinnermittlung für 2004 hatte er eine Betriebsausgabe mit dem Zusatz „Zuführung Rücklage nach § 7g EStG“ erfasst. 2008 stellte das FA fest, dass die im Jahr 2004 gebildete Ansparabschreibung nicht aufgelöst worden war. Das FA erließ daraufhin unter Verweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO einen Änderungsbescheid für das Jahr 2006, in dem es die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit um die Auflösung der Ansparabschreibung zzgl. Gewinnzuschlag erhöhte.

Nach Ansicht des BFH durfte das FA den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2006 nicht ändern, da keine neue Tatsache i.S. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorlag.

Die „Nichtanschaffung“ jener Wirtschaftsgüter, für die der Kläger die Ansparabschreibung im Jahr 2004 gebildet hatte, ist in Bezug auf § 7g Abs. 4 S. 2 EStG keine rechtserhebliche Tatsache im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

Eine gemäß § 7g Abs. 1, Abs. 3 S. 1 und 2 EStG a.F. gebildete Ansparabschreibung ist in Höhe von 40 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnerhöhend aufzulösen, sobald für das begünstigte Wirtschaftsgut Abschreibungen vorgenommen werden dürfen
§ 7g Abs. 4 S. 1 EStG a.F.. Ist die Rücklage am Ende des zweiten auf die Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie zu diesem Zeitpunkt ebenfalls gewinnerhöhend aufzulösen, § 7g Abs. 4 S. 2 EStG a.F. und der Gewinn für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6 % des aufgelösten Rücklagebetrages zu erhöhen.

Der Umstand, dass der Kläger die Rücklage nicht durch Berücksichtigung einer entsprechenden Betriebseinnahme in seiner Gewinnermittlung aufgelöst hat, ist ebenfalls keine nachträglich bekannt gewordene rechtserhebliche Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Ob der Steuerpflichtige die Betriebseinnahme in seiner Einnahmenüberschussrechnung erfasst oder nicht, ist für die Entstehung des Gewinns ohne Bedeutung. Denn die Rücklage ist kraft gesetzlicher Anordnung in § 7g Abs. 4 S. 2 EStG im zweiten Jahr nach ihrer Bildung gewinnerhöhend aufzulösen.

Die diesbezüglich fehlerhafte Gewinnermittlung des Klägers für das zweite Jahr nach ihrer Bildung kann danach keine für die Besteuerung erhebliche Tatsache sein.

Die Ansparabschreibung, sofern sie am Ende des zweiten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden ist, ist unabhängig davon gewinnerhöhend aufzulösen, ob die begünstigten Anlagegüter später angeschafft oder hergestellt worden sind, die Investition geringer ausgefallen ist als geplant oder gar völlig ausbleibt.

Diese Entscheidung betrifft altes Recht. Auf § 7g EStG n.F. sind die Grundsätze dieses Urteils nicht anzuwenden. Nach § 7g Abs. 3 S. 1 EStG setzt die Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags die unterlassene Hinzurechnung voraus. § 7g Abs. 3 S. 2 EStG ermöglicht die Korrektur der Steuerveranlagung, in der der Investitionsabzugsbetrag geltend gemacht wurde.





Festsetzungsfrist bei Außenprüfungen

Die Ausrichtung der Steuerfestsetzungsfrist am Zeitpunkt der Schlussbesprechung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

BVerfG v. 21.07.2016, 1 BvR 3092/15

Hinweis:

Die Festsetzungsfrist endet spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Schlussbesprechung stattgefunden hat, oder, wenn sie unterblieben ist, seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden haben, die in § 169 Abs. 2 genannten Fristen verstrichen sind; eine Ablaufhemmung nach anderen Vorschriften bleibt unberührt, § 171 Abs. 4 S. 3 AO.

Das Finanzamt begann bei der Beschwerdeführerin im Jahr 1980 mit einer Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 1974 bis 1978. Nach Unterbrechung wurde die Außenprüfung im Jahr 1995 fortgesetzt. Die Schlussbesprechung fand Ende 1996 statt. Das Finanzamt erließ daraufhin im Jahr 1997 geänderte Steuerbescheide gegenüber der Beschwerdeführerin. Hiergegen klagte die Beschwerdeführerin erfolglos, wobei sie Verjährung einwandte. In letzter Instanz verneinte der BFH den Eintritt der Festsetzungsverjährung. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 S. 3 AO richte sich nicht nach dem Zeitpunkt der letzten Ermittlungshandlung im Jahr 1989, sondern nach dem Zeitpunkt der Schlussbesprechung im Jahr 1996. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor allem die Verletzung der Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Die Auslegung des Bundesfinanzhofs führe zu einer ewigen Verjährung unter Kontrolle der Finanzverwaltung. 

Nach Ansicht des BVerfG ist die Regelung des § 171 Abs. 4 S. 3 AO verfassungsgemäß.

Die Auslegung des § 171 Abs. 4 S. 3 AO durch den BFH, die bei Außenprüfungen den Lauf der Festsetzungsfrist nur bei definitivem Unterbleiben der Schlussbesprechung an die letzte Ermittlungshandlung knüpft, führt zu keiner mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unvereinbaren Handhabung der Regeln über die Festsetzungsverjährung bei Außenprüfungen.

Es wäre allerdings mit den beschriebenen Grundsätzen nicht vereinbar, wenn die Finanzverwaltung durch Hinauszögern der Schlussbesprechung den Ablauf der Festsetzungsfrist nach eigenem Gutdünken bestimmen und so letztlich beliebig verlängern könnte.

Durch die dem Steuerpflichtigen nach § 201 Abs. 1 S. 1 AO eröffnete Möglichkeit, auf die Schlussbesprechung zu verzichten, hat er es jedoch selbst in der Hand, den Ablauf der Festsetzungsfrist aus § 169 AO herbeizuführen. Gegen den Willen des Steuerpflichtigen darf die Finanzbehörde keine Schlussbesprechung durchführen und kann so auch nicht den Fristlauf ab der letzten Ermittlungshandlung gegen den Willen des Steuerpflichtigen verhindern.


 

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