Rechtsprechung KW 02 - 2022

 

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Aussetzung der Vollziehung: Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen
Gegen die Höhe der nach § 240 AO zu entrichtenden Säumniszuschläge bestehen für Jahre ab 2012 jedenfalls insoweit erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, als den Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion.

BFH v. 26.05.2021, VII B 13/21

Hinweis
Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag (§ 240 Abs. 1 S. 1 AO).

Das FA erließ am 10.03.2020 einen (geänderten) Abrechnungsbescheid, der zulasten des Antragstellers neben weiteren Steuerforderungen auch Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer für August 2018 für den Zeitraum vom 11.10.2018 bis zum 10.11.2018 in Höhe von Y € auswies. Die in dem Abrechnungsbescheid aufgeführten Forderungen wurden durch Aufrechnung vollständig beglichen. Der Antragsteller legte gegen den Abrechnungsbescheid Einspruch ein und machte geltend, dass die darin aufgeführten Säumniszuschläge, soweit sie einen Betrag von X € überstiegen, verfassungswidrig seien. Säumniszuschläge wiesen einen Druck- und einen Zinscharakter auf. Um den Druckcharakter gehe es ihm hier nicht. Soweit jedoch in den Säumniszuschlägen ein Zinsanteil enthalten sei, werde dieser von den verfassungsrechtlichen Zweifeln des BFH zur Höhe des gesetzlich vorgegebenen Zinssatzes von 6 % erfasst. Insoweit sei ihm daher Aufhebung der Vollziehung (AdV) der hälftigen Säumniszuschläge zu gewähren.

Der BFH hat entschieden, dass gegen die Höhe der nach § 240 AO zu entrichtenden Säumniszuschläge für Jahre ab 2012 jedenfalls insoweit erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, als den Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern.

Der BFH hat wiederholt entschieden, dass gegen die Höhe der in § 233a AO und in § 238 Abs. 1 S. 1 AO normierten Zinssätze ab dem Jahr 2012 erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, die eine Aussetzung nach § 69 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Abs. 2 S. 2 FGO geboten erscheinen lassen. Der beschließende Senat wiederum hat bereits festgestellt, dass unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 S. 1 AO bestehen. Dies gilt jedenfalls insoweit, als Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion
 

1.2.Sonstiges

Keine erweiterte Kürzung bei erstmaliger Grundstücksverwaltung im Laufe des Erhebungszeitraums
Befasst sich eine neu gegründete Kapitalgesellschaft erst Monate nach ihrer Eintragung in das Handelsregister mit der Verwaltung eigenen Grundbesitzes, kann sie die sog. erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG nicht in Anspruch nehmen, da sie in diesem Fall nicht ausschließlich grundstücksverwaltend tätig ist.

BFH v. 27.10.2021, III R 7/19

Hinweis
Gem. § 9 Nr. 1 S. 1 GewStG wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden und nicht von der Grundsteuer befreiten Grundbesitzes gekürzt (sog. einfache Kürzung); maßgebend ist der Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunktes vor dem Ende des Erhebungszeitraums. Stattdessen kann nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern, auf Antrag die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um den Teil des Gewerbeertrags gekürzt werden, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (sog. erweiterte Kürzung). Dieser Teil des Gewerbeertrags geht nicht in die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer ein und wird so im Ergebnis nicht mit Gewerbesteuer belastet.

Die Klägerin ist eine GmbH, die im Jahr 2014 mit einem Stammkapital von 25.000 € als Vorratsgesellschaft errichtet wurde. Sie wurde - noch unter anderer Firma - 2014 in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand des Unternehmens ist der Erwerb von Grundstücken sowie deren Verwaltung. Die Klägerin erwarb durch Vertrag in 2014 mehrere in A belegene Grundstücke. Übergang von Nutzen und Lasten war in 2014. Die Klägerin erklärte für das Streitjahr (2014) einen Gewinn aus der Vermietung der Grundstücke und beantragte in der Gewerbesteuererklärung die erweiterte Kürzung des Gewerbeertrags nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG. Das FA berücksichtigte die Kürzung nicht, weil die Grundstücke zu Beginn des Erhebungszeitraums noch nicht zum Betriebsvermögen der Gesellschaft gehört hätten.

Der BFH hat entschieden, dass die erweiterte Grundstückskürzung gem. § 9 Nr. 1 S. 2    GewStG nicht in Anspruch genommen werden kann, wenn sich eine neu gegründete Kapitalgesellschaft erst Monate nach ihrer Eintragung in das Handelsregister mit der Verwaltung eigenen Grundbesitzes befasst.

Voraussetzung für die Gewährung der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist u.a., dass das Unternehmen „ausschließlich“ eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt, abgesehen von den in § 9 Nr. 1 S. 2 u. 3 GewStG zugelassenen Ausnahmen. Die in § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG genannte Verwaltung eigenen Kapitalvermögens ist nur dann unschädlich, wenn sie neben der Verwaltung eigenen Grundbesitzes stattfindet, nicht aber, wenn sie vor Beginn oder nach dem Ende einer begünstigten Grundstücksverwaltung die alleinige Tätigkeit darstellt. Der Begriff der Ausschließlichkeit ist gleichermaßen qualitativ, quantitativ sowie zeitlich zu verstehen. In zeitlicher Hinsicht hat dies zur Folge, dass der Unternehmer während des gesamten Erhebungszeitraums der gem. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG begünstigten Tätigkeit nachgehen muss. Die Erfordernis einer ausschließlichen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes fehlt daher, wenn ein Unternehmer das letzte oder einzige Grundstück vor Ablauf des Erhebungszeitraums veräußert und danach nur noch anderweitige Tätigkeiten ausübt. Für den Streitfall bedeuten diese Grundsätze, dass die Klägerin die erweiterte Kürzung nicht beanspruchen kann, weil sie nicht während des gesamten Erhebungszeitraums i. S. v. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG tätig war.


§ 15 Abs. 2 S. 3 UmwStG 2006 ist kein eigenständiger, von Satz 4 losgelöster Ausschlussgrund
§ 15 Abs. 2 S. 3 UmwStG 2006 bildet nur die Grundlage für die Vermutung des Satzes 4 und ist kein eigenständiger Ausschlussgrund für eine Buchwertfortführung; es handelt sich um eine einheitliche Missbrauchsvermeidungsregelung bestehend aus den Sätzen 3 und 4.

BFH v. 11.08.2021, I R 39/18

Hinweis
Nach § 15 Abs. 1 S. 1 UmwStG gelten die §§ 11 bis 13 des Gesetzes entsprechend, wenn Vermögen einer Körperschaft durch Aufspaltung oder Abspaltung oder durch Teilübertragung auf andere Körperschaften übergeht.

§ 11 Abs. 2 und § 13 Abs. 2 UmwStG sind in diesem Zusammenhang aber nur anzuwenden, wenn auf die Übernehmerin ein Teilbetrieb übertragen wird und im Fall der Abspaltung oder Teilübertragung bei der übertragenden Körperschaft ein Teilbetrieb verbleibt (§ 15 Abs. 1 S. 2 UmwStG).

Die A-GmbH spaltete ihre 100 %-Beteiligung an der E-GmbH auf die neu gegründete L-GmbH, eine Schwestergesellschaft, mit steuerlicher Rückwirkung zum 31.12. des Vorjahres und Antrag auf Buchwertfortführung gegen Gewährung von Gesellschafterrechten ab. Bereits im Jahr vor der Abspaltung wurde in einem Kaufvertrag zwischen den Gesellschaftern der A-GmbH und der Käuferin geregelt, dass die A-GmbH ihre 100 %-Beteiligung an der E-GmbH in eine neu zu gründende GmbH einzubringen hatte und die Käuferin von den Gesellschaftern der A-GmbH diese Anteile erwerben sollte. Der Kaufvertrag wurde kurz nach Durchführung der Abspaltung vollzogen. Die 20 %-Grenze wurde dabei nicht überschritten. Nach einer Betriebsprüfung versagte das Finanzamt die Buchwertfortführung unter Hinweis darauf, dass mit der Abspaltung die Voraussetzungen für die spätere Veräußerung geschaffen worden seien.

Der BFH hat entschieden, dass § 15 Abs. 2 S. 3 UmwStG nur die Grundlage für die Vermutung des Satzes 4 und kein eigenständiger Ausschlussgrund für eine Buchwertfortführung ist.

Das FG ist für den streitgegenständlichen Abspaltungsvorgang zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 i. V. m. § 11 Abs. 2 UmwStG erfüllt sind, es hat aber zu Unrecht angenommen, dass die von der Klägerin begehrte Buchwertfortführung an der sog. Nachspaltungsveräußerungssperre des § 15 Abs. 2 S. 3 UmwStG scheitert. Die Rechtsfrage, ob § 15 Abs. 2 S. 3 UmwStG als eigenständiger Ausschlussgrund zu bewerten ist, der unabhängig von § 15 Abs. 2 S. 4 UmwStG Anwendung finden kann, wird unterschiedlich beantwortet. Die überwiegend vertretene Auffassung geht allerdings davon aus, dass § 15 Abs. 2 S. 3 UmwStG nur die Grundlage für die Vermutung des Satzes 4 regelt und keinen eigenständigen Anwendungsbereich hat, es sich also um eine einheitliche Missbrauchsvermeidungsregelung bestehend aus den Sätzen 3 und 4 handelt. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Ein Fall des § 15 Abs. 2 S. 4 UmwStG liegt im Streitfall nicht vor. Denn dazu müssten innerhalb von fünf Jahren nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag (hier: 31.12.2007) Anteile an einer an der Spaltung beteiligten Körperschaft, die mehr als 20 % der vor Wirksamwerden der Spaltung an der Körperschaft bestehenden Anteile ausmachen, veräußert worden sein. Es muss ermittelt werden, welchen rechnerischen Anteil die zu berücksichtigenden Anteile an den beteiligten Körperschaften nach Spaltung an den Anteilen an der übertragenden Körperschaft vor Spaltung repräsentieren. Maßgeblich sind insoweit die gemeinen Werte der Anteile zum Übertragungsstichtag. Deshalb sind zeitlich vorgelagerte Vorgänge - was das FA und das BMF aber auch nicht geltend gemacht haben - nicht einzubeziehen. Der Wortlaut des § 15 Abs. 2 S. 4 UmwStG stellt insoweit ausdrücklich und unmissverständlich auf die „Anteile“ an einer an der Spaltung beteiligten Körperschaft ab.
 

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