Rechtsprechung KW 36 - 2020

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Grobes Verschulden des Steuerberaters durch fehlende Erklärung steuerfreier Kinderzulagen bei in der Schweiz tätigen Grenzgängern
Ein steuerlicher Berater handelt grob fahrlässig i. S. d.§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er die in der Anlage N-Gre ausdrücklich gestellte Frage nach steuerfreien Kinderzulagen bei einem in der Schweiz tätigen Grenzgänger nicht beantwortet, obwohl er bei sorgfältiger Prüfung und Aufarbeitung des steuerrelevanten Sachverhalts aus den (monatlichen) Gehaltsmitteilungen des Steuerpflichtigen erkennen konnte, dass in dem in der Jahreslohnbescheinigung ausgewiesenen Arbeitslohn steuerfreie Kinderzulagen enthalten waren.

Der Steuerpflichtige hat auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters zu vertreten, dessen er sich zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).

BFH v. 28.04.2020, VI R 24/17

Hinweis:
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

Der Kläger arbeitete in der Schweiz und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er fuhr täglich von seinem Wohnort in Deutschland zu seiner Arbeitsstätte in die Schweiz und kehrte abends wieder zu seinem Wohnort zurück. Das FA bejahte die Grenzgängereigenschaft des Klägers und stellte eine entsprechende Ansässigkeitsbescheinigung aus. Ihre Steuererklärungen für die Streitjahre ließen die Kläger durch einen Steuerberater erstellen. In der Anlage N-Gre trug der Steuerberater jeweils den Bruttoarbeitslohn des Klägers ein. Dabei legte er den im jeweiligen Lohnausweis des schweizerischen Arbeitgebers angegebenen Betrag zugrunde. Eintragungen zu steuerfreien Bezügen/Kinder­zulagen nahm der Steuerberater nicht vor. Das FA berücksichtigte die angegebenen Bruttoarbeitslöhne im Wesentlichen erklärungsgemäß. Kinderfreibeträge setzte das FA nicht an, da die steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder durch das Kindergeld bzw. vergleichbare Leistungen für die Kinder bewirkt worden sei. Die Einkommensteuerbescheide wurden bestandskräftig.

Der BFH hat entschieden, dass der Steuerberater grob fahrlässig gehandelt hat, so dass eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausgeschlossen war.

Im Streitfall sind dem FA Tatsachen nachträglich bekannt geworden, die zu einer niedrigeren Steuer führen. Diese steuermindernden Tatsachen wurden dem FA erst nachträglich durch das Schreiben des Steuerberaters der Kläger bekannt. Der Steuerpflichtige hat auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters, dessen er sich zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient, bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten. Entgegen der Auffassung des FG trifft den steuerlichen Berater der Kläger ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der steuermindernden Tatsache, dass in den erklärten Bruttoarbeitslöhnen des Klägers steuerfreie Kinderzulagen enthalten waren, die klägerseits nicht in Abzug gebracht wurden.
 

1.2.Umsatzsteuer

Umsatzsteuerfreie Leistungserbringung beim Jugendfreiwilligendienst
Erbringt ein Träger des Jugendfreiwilligendienstes, der gemäß § 11 Abs. 1 JFDG zur Gewährung von Geld- oder Sachleistungen an die Freiwilligen verpflichtet ist, Leistungen an die Einsatzstelle der Freiwilligen, die von der Einsatzstelle durch eine monatliche Pauschale vergütet wird, ist diese Leistung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei.

BFH v. 24.06.2020, V R 21/19

Hinweis:
Nach Art. 132 Abs. 1 Bst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen (...), einschließlich derjenigen, die durch (...) Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden".

Die Klägerin verfolgt mit der Förderung der Berufsbildung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke i. S. d. §§ 51 ff. AO und betreibt ein Zentrum für Freiwilligendienste. Dafür stellte sie Jugendliche an unterschiedlichen Einsatzstellen zur Verfügung und bereitete die Teilnehmer auf ihren Freiwilligendienst durch Beratung über die notwendigen Voraussetzungen und über ihren konkreten Einsatzbereich vor. Außerdem führte sie Lehrgänge und Qualifikationskurse mit dem Ziel durch, die Teilnehmer zu befähigen, den Freiwilligendienst anzutreten und fachgerecht abzuleisten. Ferner wurden die Teilnehmer während ihres gesamten Einsatzes von Mitarbeitern der Klägerin pädagogisch begleitet. In ihrer beim FA eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung behandelte sie die mit diesen Rechnungen abgerechneten Leistungen als steuerpflichtig. Gegen diese Anmeldung erhob die Klägerin Sprungklage gem. § 45 FGO, der das FA zustimmte.

Der BFH hat entschieden, dass die Leistungen an die Einsatzstelle der Freiwilligen, die von der Einsatzstelle durch eine monatliche Pauschale vergütet wird, gem. Art. 132 Abs. 1 Bst. g MwStSystRL umsatzsteuerfrei ist.

Entscheidet sich ein Träger des Jugendfreiwilligendienstes, wie hier die Klägerin, dafür, keine dreiseitige Vereinbarung nach § 11 Abs. 2 JFDG abzuschließen, so dass sie gem. § 11 Abs. 1 JFDG die Verpflichtung zur Gewährung von Geld- oder Sachleistungen für Unterkunft, Verpflegung, Arbeitsbekleidung und Taschengeld an die Freiwilligen übernimmt und hierfür von der Einsatzstelle eine monatliche Pauschale erhält, handelt es sich um ein Entgelt für eine i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Bst. g MwStSystRL eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung. Maßgeblich für die Beurteilung des Streitfalls ist letztlich die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements durch den Freiwilligendienst (vgl. § 1 Abs. 1 JFDG).
 

1.3.Internationales Steuerrecht

Verzicht auf Darlehenszinsen in grenzüberschreitenden Dreieckskonstellationen – Verhältnis von § 1 Abs. 1 AStG und § 8 Abs. 3 S. 2 KStG
Für das Vorliegen einer Geschäftsbeziehung i. S. d. § 1 Abs. 4 AStG kommt es seit der Neufassung durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz nicht mehr darauf an, ob die Darlehensnehmerin ihre unternehmerische Funktion mangels Eigenkapitalausstattung nicht erfüllen könnte.

Wird die Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG auf einen Zinsverzicht gegenüber einer ausländischen Darlehensnehmerin gestützt, muss dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werden, den Nachweis für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des (nicht fremdüblichen) Geschäfts zu erbringen (EuGH-Urteil Hornbach-Baumarkt v. 31.05.2018, C-382/16, EU:C:2018:366, HFR 2018 S. 580). Diese Prüfung ist den nationalen Gerichten vorbehalten und vorrangig Aufgabe der Finanzgerichte.

Die Bestimmungen des Unionsrechts sind vom Zeitpunkt des Beitritts eines Mitgliedstaats an verbindlich, so dass sie für zukünftige Auswirkungen vor dem Beitritt entstandener Sachverhalte gelten; demgegenüber entfalten diese keine „Vorwirkung“ für vor dem Beitritt bereits abgeschlossene Sachverhalte.

Aus der Formulierung „unbeschadet anderer Vorschriften“ in § 1 Abs. 1 AStG ergibt sich kein Vorrang des § 8 Abs. 3 S. 2 KStG. Beide Vorschriften überlagern einander vielmehr in dem Sinne, dass sich eine Gewinnkorrektur nach der einen Vorschrift erübrigt, wenn sie bereits nach der anderen vollzogen wurde. Soweit die Rechtsfolgen der beiden Vorschriften nicht voneinander abweichen, kann der Rechtsanwender wählen, welche von ihnen er vorrangig prüft.

BFH v. 27.11.2019, I R 40/19 (I R 14/16)

Hinweis:
Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus Geschäftsbeziehungen mit einer ihm nahestehenden Person dadurch gemindert, dass er im Rahmen solcher Geschäftsbeziehungen zum Ausland Bedingungen vereinbart, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten, so sind seine Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften gem. § 1 Abs. 1 AStG so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären.

Die Klägerin, eine inländische GmbH, war in den Streitjahren Alleingesellschafterin und zugleich Organträgerin der A GmbH mit Sitz im Inland; daneben war sie Alleingesellschafterin der C s.r.o. mit Sitz in der Tschechischen Republik. Zur Finanzierung eines Grundstückskaufs und zur Erschließung eines Grundstücks gewährten sowohl die Klägerin als auch die A GmbH der C s.r.o. Darlehen mit einer Laufzeit von zehn Jahren und einer Verzinsung von 6,3 % p.a. Sämtliche Darlehen wurden zinsfrei gestellt. Das ursprünglich zuständige Finanzamt X rechnete in den Streitjahren Zinseinnahmen in Höhe von jeweils 6,3 % außerbilanziell wieder hinzu.

Der BFH hat entschieden, dass bei einer Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt werden muss, den Nachweis für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des (nicht fremdüblichen) Geschäfts zu erbringen. § 1 Abs. 1 AStG ist nicht vorrangig zu § 8 Abs. 3 S. 2 KSTG anzuweden.

Das FG hat im Rahmen der Gewinnermittlung keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob die entstandenen Zinsforderungen, auf die die Klägerin gegenüber der C s.r.o. verzichtet hat, im Zeitpunkt des Verzichts werthaltig waren. Ggf. kommt eine Erhöhung des Beteiligungswerts der Klägerin an der C s.r.o. in Höhe der entstandenen Zinsforderungen aus den Darlehen der Klägerin gegenüber der C s.r.o. gem. § 6 Abs. 6 S. 2 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 S. 1 KStG in Betracht, soweit die Forderungsverzichte steuerrechtlich zu verdeckten Einlagen der Klägerin in die C s.r.o. geführt haben.
Schließlich hat das FG im Rahmen der Gewinnermittlung keine ausreichenden Fest-stellungen dazu getroffen, ob die entstandenen Zinsforderungen, auf die die A GmbH gegenüber der C s.r.o. (Schwestergesellschaften) verzichtet hat, im Zeitpunkt des Verzichts werthaltig waren. Dieser Verzicht führt dem Grunde nach zu einer verdeckten Einlage der Klägerin in die C s.r.o. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Vorteilszuwendung zwischen Schwestergesellschaften so zu beurteilen, dass die leistende Tochtergesellschaft den Vorteil zunächst an die gemeinsame Muttergesellschaft im Wege einer vGA leitet, die diesen sodann der anderen Tochtergesellschaft zuführt.
 

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