Rechtsprechung KW 39-2018

1.Rechtsprechung

1.1.Umsatzsteuer

Zum Rechnungsmerkmal "vollständige Anschrift" bei der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug
Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der dem Unternehmer erteilten Rechnung, für dessen Unternehmen die Lieferungen oder sonstigen Leistungen ausgeführt worden sind, angegeben ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der leistende Unternehmer unter der von ihm angegebenen Rechnungsanschrift erreichbar ist (Änderung der Rechtsprechung).
§ 17a UStDV 2005 ist mit Unionsrecht vereinbar.
BFH v. 13.06.2018, XI R 20/14
Hinweis:
Der Unternehmer kann die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 UStG). Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Fehlen die für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 i. V. m. §§ 14, 14a UStG erforderlichen Rechnungsangaben oder sind sie unzutreffend, besteht für den Leistungsempfänger kein Anspruch auf Vorsteuerabzug.
Im Streitfall ging es um einen KFZ-Händler, der von D Fahrzeuge erwarb. Unter der von D in ihren Rechnungen angegebenen Anschrift befand sich zwar ihr statuarischer Sitz; es handelte sich hierbei jedoch um einen "Briefkastensitz", unter der D lediglich postalisch erreichbar war und wo keine geschäftlichen Aktivitäten stattgefunden haben. Nach Ansicht des FA berechtigte die Angabe des „Briefkastensitzes“ des leistenden Unternehmers nicht zum Vorsteuerabzug, da die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG nicht erfüllt seien.
Der BFH hat entschieden, dass die Ausübung des Rechts auf VoSt-Abzug nicht voraussetzt, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der erteilen Rechnung angegeben ist.
§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i. V. m. § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG sind nach der EuGH-Rechtsprechung „Geissel“ richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass der Vorsteuerabzug nicht den Besitz einer Rechnung mit der Anschrift des leistenden Unternehmers voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübt. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift einschließlich einer Briefkastenanschrift aus, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Im Streitfall war ausreichend, dass die D unter der von ihr angegebenen Rechnungsanschrift Post erhalten hat. Das FG hat dazu u.a. unwidersprochen und für den Senat i. S. v. § 118 Abs. 2 FGO bindend festgestellt, dass D unter der von ihr in ihren Rechnungen angegebenen Anschrift postalisch erreichbar gewesen ist.

1.2.Einkommensteuer

Verlust aus der Veräußerung von Aktien
Eine Veräußerung i. S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig (entgegen BMF-Schreiben vom 18. Januar 2016 IV C 1-S 2252/08/10004, BStBl. I 2016, 85, Rz 59).
Es steht grundsätzlich im Belieben des Steuerpflichtigen, ob, wann und mit welchem Ertrag er Wertpapiere erwirbt und wieder veräußert (vgl. BFH-Urteil vom 25. August 2009 IX R 55/07, BFH/NV 2010, 387, Rz 13). Dadurch macht der Steuerpflichtige lediglich von gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch, missbraucht diese aber nicht.
BFH v. 12.06.2018, VIII R 32/16
Hinweis:
Gem. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Gewinne aus der Veräußerung von Aktien. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gem. § 20 Abs. 4 u. Abs. 6 EStG auch ein negativer Gewinn - ein Veräußerungsverlust – erfasst.
Im Streitfall hatte der Kläger in den Jahren 2009 und 2010 Aktien zum Preis von 5.759,78 € erworben und diese im Jahr 2013 zu einem Gesamtverkaufspreis von 14 € an eine Sparkasse wieder veräußert, die Transaktionskosten in dieser Höhe einbehielt. In seiner Einkommensteuererklärung 2013 machte der Kläger den Verlust i. H. v. 5.759,78 € bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend und stellte u. a. den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts gem. § 32d Abs. 4 EStG. Das Finanzamt berücksichtigte die Verluste nicht.
Der BFH hat entschieden, dass eine Veräußerung i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig ist.
Jede entgeltliche Übertragung des - zumindest wirtschaftlichen - Eigentums auf einen Dritten ist eine Veräußerung i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG. Weitere Tatbestandsmerkmale nennt das Gesetz nicht. Die Erfüllung des Tatbestands der Veräußerung ist entgegen der Sichtweise der Finanzverwaltung weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig. Auch einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i. S. d. § 42 AO verneinte der BFH. Der Kläger hat nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Es steht grundsätzlich im Belieben des Steuerpflichtigen, ob, wann und mit welchem erzielbaren Ertrag er Wertpapiere erwirbt und wieder veräußert. Dass der Kläger keine Steuerbescheinigung der Sparkasse über den entstandenen Verlust vorlegen konnte (vgl. § 20 Abs. 6 S. 6 EStG), stand der Verlustverrechnung nach der bereits gefestigten Rechtsprechung des Senats nicht entgegen. Die Bescheinigung ist entbehrlich, wenn - wie vorliegend - keine Gefahr der Doppelberücksichtigung des Verlusts besteht. Der BFH hat damit weitere Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge geklärt. Wie die bloße Ausbuchung von wertlos gewordenen Aktien aus dem Wertpapierdepot des Steuerpflichtigen steuerrechtlich zu beurteilen ist, hat der BFH mangels Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Urteil dagegen (noch) offengelassen.

Keine Anwendung des Abzugsverbots nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. bei Aufwendungen eines Raststättenbetreibers für die Bewirtung von Busfahrern als Gegenleistung für das Zuführen von potentiellen Kunden
Das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. gilt nicht, wenn und soweit die Bewirtung Gegenstand eines Austauschverhältnisses im Sinne eines Leistungsaustausches ist.
Das Vorliegen eines Leistungsaustausches setzt nicht voraus, dass das Entgelt für die Bewirtung in Geld entrichtet wird. Die Gegenleistung kann u.a. auch in Form einer Werk-, Dienst-, oder Vermittlungsleistung erbracht werden.
Das Zuführen von potentiellen Kunden stellt eine, die Anwendung von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. ausschließende, Gegenleistung des Busfahrers für die Bewirtung durch den Raststättenbetreiber dar.
BFH v. 26.04.2018, X R 24/17
Hinweis:
Nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 S. 1 EStG sind Aufwendungen für die Bewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass nicht abzugsfähig, soweit sie 70 % der Aufwendungen übersteigen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als angemessen anzusehen und deren Höhe und betriebliche Veranlassung nachgewiesen sind.
Der Kläger erzielte im Streitjahr gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb mehrerer Autobahnraststätten. Busfahrer, die mit einem mit potentiellen Kunden gefüllten Bus bei den Raststätten des Klägers hielten, wurden von ihm bewirtet, ohne dass die Busfahrer hierfür bezahlen mussten. Hierfür fielen im Streitjahr Aufwendungen i. H. v. 15.995 EUR an, die nach Maßgabe von § 4 Abs. 7 EStG aufgezeichnet wurden. Die kostenlose Verpflegung hätten die Busfahrer auch bei privaten Besuchen der Autobahnraststätten des Klägers in Anspruch nehmen können. Diese Möglichkeit wurde jedoch im Streitjahr nicht genutzt. Im Rahmen einer im Unternehmen des Klägers durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass die Aufwendungen des Klägers für die Bewirtung der Busfahrer gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung um 3.199 EUR (20 %) zu kürzen seien.
Der BFH hat entschieden, dass das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 EStG nicht gilt, wenn und soweit die Bewirtung Gegenstand eines Leistungsaustauschs ist.
Bewirtungsaufwendungen, die im Leistungsaustausch vergütet werden, gehören nicht zu den in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 EStG gemeinten Aufwendungen, was etwa der Fall ist, wenn diese Bewirtungsaufwendungen in Teilnehmergebühren wie etwa Seminargebühren eingerechnet worden sind. Für die Frage, ob ein Leistungsaustausch vorliegt, ist auf die konkrete, d. h. jede einzelne Bewirtung, abzustellen. Die Annahme eines Leistungsaustausches in diesem Sinne erfordert nicht zwingend, dass das Entgelt für die Bewirtung in Geld entrichtet wird. Die Gegenleistung kann vielmehr u. a. auch in Form einer Werk-, Dienst-, oder Vermittlungsleistung erbracht werden. Die Busfahrer haben die Speisen und Getränke als Gegenleistung dafür erhalten, dass sie die Raststätten des Klägers mit ihrem Bus angefahren und dem Kläger damit eine Vielzahl von potentiellen Kunden zugeführt haben. Somit lag ein Leistungsaustausch vor, der der Anwendung des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 EStG entgegenstand.
 

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