Rechtsprechung KW 37 - 2022

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Unzulässigkeit einer im Jahr 2022 lediglich per Telefax erhobenen Anhörungsrüge
Die Erhebung einer Anhörungsrüge durch einen Rechtsanwalt ist ab dem 01.01.2022 unzulässig, wenn sie nicht als elektronisches Dokument in der Form des § 52a FGO an den BFH übermittelt wird. Der Verstoß gegen § 52d FGO führt zur Unwirksamkeit des Antrags. Er gilt als nicht vorgenommen.

BFH v. 23.08.2022, VIII S 3/22

Hinweis
Nach § 52d S. 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln.

Im Streitfall hatte ein Rechtsanwalt, der sich in eigener Sache als Rügeführer vertrat, am 21.02.2022 per Telefax eine Anhörungsrüge erhoben (§ 133a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 133a Abs. 2 FGO).

Der BFH hat entschieden, dass die Erhebung einer Anhörungsrüge durch einen Rechtsanwalt ist ab dem 01.01.2022 unzulässig ist, wenn sie nicht als elektronisches Dokument in der Form des § 52a FGO an den BFH übermittelt wird. Der Verstoß gegen § 52d FGO führt zur Unwirksamkeit des Antrags. Er gilt als nicht vorgenommen.

Ein Telefax ist kein elektronisches Dokument i. S. der §§ 52a, 52d FGO. Unter diesen Begriff fällt eine Datei, die mit Mitteln der Datenverarbeitung erstellt, auf einem Datenträger aufgezeichnet werden kann und (bereits) in dieser Form als Prozesserklärung maßgeblich ist. Das Telefax fällt nicht hierunter, da der Papierausdruck beim Empfänger (BFH) lediglich den Inhalt des übermittelten Dokuments wiedergibt, aber selbst keine Rechtswirksamkeit erzeugt. Auch die weiteren formalen Anforderungen, dass das elektronische Dokument für seine Rechtswirksamkeit mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert (§ 52a Abs. 3 FGO) und auf einem sicheren Übermittlungsweg nach den Vorgaben des § 52d Abs. 4 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 6 FGO eingereicht werden muss, wurden durch die Übermittlung des unterschriebenen Telefaxes nicht erfüllt. Die Rügeerhebung per Telefax war im entschiedenen Streitfall auch nicht gem. § 52d S. 3 FGO als sog. Ersatzeinreichung zulässig. Hierfür hätte der Rügeführer nach der Rügeerhebung unverzüglich glaubhaft machen müssen, ihm sei eine Übermittlung der Rüge als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich gewesen. Er machte nach Hinweis der Geschäftsstelle des VIII. Senats aber nicht geltend, dass vorübergehend ein technisches Übermittlungshindernis bestanden habe.
 

1.2.Einkommensteuer

Bauabzugsteuer - Betriebsausgabenabzug des Leistungsempfängers bei Zahlungen an eine inaktive ausländische Domizilgesellschaft
Die Sperrwirkung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG greift auch dann ein, wenn der Leistungsempfänger i.S. des § 48 Abs. 1 S. 1 EStG die Zahlungen an eine inaktive ausländische Domizilgesellschaft erbringt.

Die durch § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG ausgelöste Ungleichbehandlung zwischen Bauleistungsempfängern und Auftraggebern von Leistungen aus anderen Dienstleistungssektoren verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

BFH v. 09.06.2022, IV R 4/20

Hinweis
Nach § 160 Abs. 1 S. 1 AO sind Schulden und andere Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und andere Ausgaben steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Gläubiger oder Empfänger genau zu benennen. Allerdings ist § 160 Abs. 1 S. 1 AO gem. § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG nicht anzuwenden, wenn der Leistungsempfänger den Steuerabzug angemeldet und abgeführt hat. Hiermit ist der Steuerabzug nach § 48 Abs. 1 S. 1 EStG gemeint, wonach der Leistungsempfänger verpflichtet ist, von der Gegenleistung einen Steuerabzug in Höhe von 15 % für Rechnung des Leistenden vorzunehmen, wenn jemand im Inland eine Bauleistung (Leistender) an einen Unternehmer i. S. d. § 2 UStG oder an eine juristische Person des öffentlichen Rechts (Leistungsempfänger) erbringt. Als Leistender gilt auch derjenige, der über eine Leistung abrechnet, ohne sie erbracht zu haben (§ 48 Abs. 1 S. 4 EStG). Die Anmeldung und Abführung des Steuerabzugs (Bauabzugsteuer) durch den Leistungsempfänger regelt § 48a EStG.

Die Klägerin, eine inländische Entwicklungs- und Bauträgergesellschaft in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft (KG), nahm im Streitjahr 2002 umfangreiche Bauleistungen britischer Subunternehmer im Zusammenhang mit der Realisierung diverser Großprojekte in Anspruch. Nach den Feststellungen der Informationszentrale Ausland des Bundeszentralamtes für Steuern handelte es sich bei den britischen Firmen um wirtschaftlich inaktive Domizilgesellschaften. Die KG nahm von den Gegenleistungen den Steuerabzug von 15 % für Rechnung der Subunternehmer vor, meldete diese Bauabzugsteuer beim zuständigen Finanzamt an und führte die Steuer ab. Da die KG die tatsächlichen Zahlungsempfänger nicht benennen konnte, kürzte das Finanzamt auf Grundlage des § 160 AO die Betriebsausgaben um 70 % der Gesamtgegenleistung. § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG, der nach seinem Wortlaut die Anwendung des § 160 AO ausschließt, sei auf inaktive ausländische Domizilgesellschaften nicht anzuwenden. Streitig ist, ob die von der Klägerin an britische Subunternehmer geleisteten Zahlungen in voller Höhe als Betriebsausgaben abziehbar oder diese gem. § 160 Abs. 1 S. 1 AO wegen unterlassener Empfängerbenennung zu kürzen sind.

Der BFH hat entschieden, dass die Sperrwirkung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG auch dann eingreift, wenn der Leistungsempfänger i. S. d. § 48 Abs. 1 S. 1 EStG die Zahlungen an eine inaktive ausländische Domizilgesellschaft erbringt.

Zu Recht haben das FA und das FG die Sperrwirkung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG im Rahmen des Gewinnfeststellungsverfahrens 2002 geprüft. Die Prüfung des Benennungsverlangens nach § 160 Abs. 1 S. 1 AO ist bei Mitunternehmerschaften ein unselbständiger Bestandteil des gesonderten Feststellungsverfahrens nach § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bst. a AO. Damit ist auch die Frage, ob und inwieweit § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG die Anwendung des § 160 Abs. 1 S. 1 AO sperrt, im Rahmen des gesonderten Feststellungsverfahrens zu prüfen. Das FG hat § 160 Abs. 1 S. 1 AO infolge der in § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG angeordneten Sperrwirkung zutreffend für nicht anwendbar erachtet. Ausgehend von den im Streitfall zu prüfenden gesetzlichen Vorschriften ist § 160 Abs. 1 S. 1 AO auch dann nicht anwendbar, wenn die Leistungsempfängerin - vorbehaltlich der Anmeldung und Abführung des Steuerabzugsbetrags nach § 48 Abs. 1 EStG - Zahlungen an eine inaktive ausländische Domizilgesellschaft erbringt. Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit § 42 AO neben § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG anwendbar ist. Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht keine Feststellungen getroffen, die Anhaltspunkte für einen Gestaltungsmissbrauch liefern könnten. Im Gegenteil hat es ausgeführt, es lägen keine Umstände vor, wonach die Klägerin als Leistungsempfängerin § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG „instrumentalisiert“ und sich den Abzug entgegen § 160 AO im Zusammenwirken mit einer formal als Subunternehmer eingeschalteten Domizilgesellschaft in rechtsmissbräuchlicher Weise erschlichen habe. Die durch § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG ausgelöste Ungleichbehandlung zwischen Bauleistungsempfängern und Auftraggebern von Leistungen aus anderen Dienstleistungssektoren verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
 

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