Rechtsprechung KW 34 - 2022

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Zur Höhe der Gebühr bei Rücknahme eines Antrags auf verbindliche Auskunft
Im Fall der Rücknahme eines Antrags auf verbindliche Auskunft führt AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2 nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null in der Weise, dass die Gebührenermäßigung (§ 89 Abs. 7 S. 2 AO) nach den Maßgaben der Bemessung einer Zeitgebühr auszurichten ist.

BFH v. 04.05.2022, I R 46/18

Hinweis
Nach § 89 Abs. 3 S. 1 AO wird für die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft eine Gebühr erhoben. Die Gebühr wird gem. § 89 Abs. 4 S. 1 AO primär nach dem Wert berechnet, den die verbindliche Auskunft für den Antragsteller hat (Gegenstandswert); hierfür verweist § 89 Abs. 5 AO auf eine entsprechende Anwendung von § 34 GKG. Sofern ein Gegenstandswert nicht bestimmbar ist und auch nicht durch Schätzung bestimmt werden kann, ist gem. § 89 Abs. 6 S. 1 AO eine Zeitgebühr zu berechnen; sie beträgt 50 € je angefangene halbe Stunde Bearbeitungszeit. § 89 Abs. 7 S. 1 AO bestimmt, dass auf die Gebühr ganz oder teilweise verzichtet werden „kann“, wenn ihre Erhebung nach der Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Nach § 89 Abs. 7 S. 2 AO „kann“ die Gebühr insbesondere ermäßigt werden, wenn ein Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft vor Bekanntgabe der Entscheidung der Finanzbehörde zurückgenommen wird.

Die Klägerin ist eine KG mit Sitz im Inland. Da mehrere ihrer Gesellschafter planten, einen Zweitwohnsitz im Ausland zu begründen, beantragte sie beim FA die Erteilung einer verbindlichen Auskunft. Gegenstand dieses Auskunftsersuchens war die steuerliche Entstrickung ihrer Wirtschaftsgüter, insbesondere ihrer Beteiligungen. Die Klägerin gab an, dass aufgrund der Höhe des Gegenstandswerts von der Höchstgebühr gem. § 89 Abs. 5 AO i. V. m. § 34 GKG auszugehen sei. Infolge des Antrags kam es zu umfangreichen rechtlichen Prüfungen. Nachdem das FA mündlich mitgeteilt hatte, dass auf Grundlage des dargestellten Sachverhalts die beantragte verbindliche Auskunft nicht erteilt werden könne, wurden auch alternative Sachverhaltsgestaltungen diskutiert. Aus Sicht der Finanzverwaltung blieb es dabei, dass der Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft abzulehnen sei. Die Klägerin nahm ihren Antrag auf Erteilung der verbindlichen Auskunft zurück. Als Grund gab sie an, die Gesellschafter hätten von den Überlegungen zur Verlagerung ihres Wohnsitzes in das Ausland Abstand genommen. Das FA setzte für die Bearbeitung des Auskunftsersuchens gem. § 89 Abs. 3 - 7 AO eine Gebühr i. H. v. 98.762 € fest. Bei der Berechnung ging das FA von einem Gegenstandswert i. H. von 30 Mio. € (Höchstbetrag) aus, der grundsätzlich eine Gebühr i. H. v. 109.736 € zur Folge gehabt hätte. Wegen der Rücknahme des Antrags sei es aber sachgerecht, diese Gebühr gem. § 89 Abs. 7 S. 2 AO und AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2 um 10 % zu ermäßigen.

Der BFH hat entschieden, dass im Fall der Rücknahme eines Antrags auf verbindliche Auskunft AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2 nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null in der Weise führt, dass die Gebührenermäßigung (§ 89 Abs. 7 S. 2 AO) nach den Maßgaben der Bemessung einer Zeitgebühr auszurichten ist.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Streitfall die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Gebühr gem. § 89 Abs. 3 AO vorliegen. Entsprechendes gilt für die Voraussetzungen der Gebührenermäßigung gem. § 89 Abs. 7 S. 2 AO aufgrund der Rücknahme des Antrags durch die Klägerin vor Bekanntgabe der Entscheidung des FA über die Erteilung der verbindlichen Auskunft. Die Annahme des FG, aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null sei die Gebühr auf eine Zeitgebühr i. H. v. 15.600 € zu ermäßigen, war dagegen rechtsfehlerhaft. Eine entsprechende Ermessensreduzierung auf Null folgt insbesondere nicht aus AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2.

Zwar handelt es sich hierbei um eine ermessenslenkende und für das FA bindende Verwaltungsvorschrift. Diese Vorschrift schreibt aber lediglich vor, den bis zur Rücknahme des Antrags angefallenen Bearbeitungsaufwand „angemessen“ zu berücksichtigen und die Gebühr „anteilig“ zu ermäßigen. Weitere Vorgaben zur konkreten Berechnung der Ermäßigung enthält sie nicht. Entgegen der Auffassung des FG kann AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2 somit keine generelle Begrenzung auf die Zeitgebühr entnommen werden. Vielmehr sind deren Vorgaben auch bei einer - vom FA zugrunde gelegten - proportionalen Reduzierung der Wertgebühr im Verhältnis des bisherigen zu dem noch ausstehenden Bearbeitungsaufwand erfüllt. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass das FG die Ermessensrichtlinie nicht selbst auslegen durfte, sondern darauf beschränkt war zu prüfen, ob die vom FA vorgenommene Auslegung möglich ist. Im Übrigen bezieht sich die Ermäßigung nach § 89 Abs. 7 S. 2 AO auf „die Gebühr“ (ebenso AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2). Damit kann als Ausgangspunkt nur diejenige Gebühr gemeint sein, die sich zuvor aus § 89 Abs. 4 - 6 AO ergeben hat. Ein grundsätzlicher Wechsel von der Wert- zur Zeitgebühr (oder umgekehrt) ist dagegen nicht vorgesehen. Die vom Gesetzgeber verfolgten Gebührenzwecke führen ebenfalls nicht zu der vom FG angenommenen Ermessensreduzierung auf Null.
 

1.2.Körperschaftsteuer

Belastung der Dividenden von inländischen Kapitalgesellschaften bei steuerbefreiten öffentlich-rechtlichen Versorgungswerken
Es verletzt nach der im Jahr 2010 geltenden Rechtslage nicht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass Dividenden, die ein öffentlich-rechtliches Versorgungswerk von inländischen Kapitalgesellschaften in seinem gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG steuerbefreiten BgA bezieht, für Körperschaftsteuerzwecke gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 KStG einem abgeltenden Kapitalertragsteuerabzug von den Bruttoeinnahmen mit einer teilweisen Abstandnahme auf drei Fünftel des Steuerabzugs unterliegen.

BFH v. 17.05.2022, VIII R 2/18

Hinweis
Gewinnausschüttungen, die Einkünfte i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind, unterliegen dem Steuerabzug für Kapitalerträge (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Die Höhe der Kapitalertragsteuer beträgt grundsätzlich 25 %, der Steuerabzug ist jedoch nur in Höhe von drei Fünfteln (d. h. mit 15 %) vorzunehmen, wenn die Ausschüttung von einer nach § 5 Abs. 1 KStG steuerbefreiten Körperschaft vereinnahmt wird (§§ 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG, 44a Abs. 2 Nr. 1 EStG)

Die Klägerin ist ein öffentlich-rechtliches berufsständisches Versorgungswerk. Ihre Tätigkeit als berufsständisches Versorgungswerk wurde körperschaftsteuerlich als BgA i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG eingeordnet. Hinsichtlich der im BgA erzielten gewerblichen Einkünfte war sie gem. § 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG körperschaftsteuerbefreit. Im Streitjahr 2010 erzielte die Klägerin im BgA Kapitalerträge, für die sie die Freistellung von der Kapitalertragsteuer und vom Solidaritätszuschlag begehrt. Das FA lehnte eine Freistellung ab. Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Klägerin u. a. eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG rügt, hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

Der BFH hat entschieden, dass Dividenden, die ein öffentlich-rechtliches Versorgungswerk von inländischen Kapitalgesellschaften in seinem gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG steuerbefreiten BgA bezieht, für Körperschaftsteuerzwecke gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 KStG einem abgeltenden Kapitalertragsteuerabzug von den Bruttoeinnahmen mit einer teilweisen Abstandnahme auf drei Fünftel des Steuerabzugs unterliegen.

Die Klägerin ist mit ihrem als BgA geführten berufsständischen Versorgungswerk i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. § 4 Abs. 1 KStG nach den Regelungen des KStG zur Bestimmung der persönlichen Steuerpflicht ebenso wie eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) ein unbeschränkt steuerpflichtiges Körperschaftsteuersubjekt, das ein Einkommen erzielt, welches ihm eine eigene Leistungsfähigkeit vermittelt. Die für den BgA der Klägerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG gewährte Steuerbefreiung ändert hieran nichts. Es handelt sich um eine subjektiv-sachliche Steuerbefreiung, die die unbeschränkte Steuerpflicht der Klägerin gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG unberührt lässt, weil sie lediglich einen Teil des Steuerobjekts die im BgA erzielten und nicht unter § 5 Abs. 2 Nr. 1 KStG fallenden abgeltend besteuerten Einkünfte von der Körperschaftsteuer befreit. Die partielle Steuerbefreiung der Klägerin in § 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG begründet keine besondere Art einer beschränkten Steuerpflicht. Der Gesetzgeber hat die Klägerin als partiell unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft des öffentlichen Rechts - anders als eine unbeschränkt steuerpflichtige veranlagte Kapitalgesellschaft - innerhalb des KStG in ein besonderes Subsystem der Besteuerung öffentlich-rechtlicher Körperschaften eingebunden und bei diesen Steuersubjekten - wie bei der Klägerin - von einer Veranlagung für Zwecke der Körperschaftsteuer abgesehen. Die Klägerin wird hinsichtlich des steuerpflichtigen Teils ihres Einkommens, der abzugspflichtigen Kapitalerträge (und Wertpapierleiherträge), für Zwecke der Körperschaftsteuer durch den Kapitalertragsteuerabzug (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 KStG) und den besonderen Steuerabzug gem. § 32 Abs. 3 KStG abgeltend besteuert. Diese Grundentscheidung des Gesetzgebers ist weder willkürlich noch sachwidrig.
 

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