Rechtsprechung KW 31 - 2022

1.Rechtsprechung

1.1.Erbschaft-/Schenkungsteuer

Beendigung der Selbstnutzung eines Familienheims
Der Erwerber eines erbschaftsteuerrechtlich begünstigten Familienheims ist aus zwingenden Gründen an dessen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert, wenn die Selbstnutzung objektiv unmöglich oder aus objektiven Gründen unzumutbar ist. Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus. Gesundheitliche Beeinträchtigungen können zwingende Gründe darstellen, wenn sie dem Erwerber eine selbständige Haushaltsführung in dem erworbenen Familienheim unzumutbar machen.

BFH v. 01.12.2021, II R 1/21

Hinweis
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b S. 1 ErbStG bleibt steuerfrei u. a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück i. S. d. § 181 Abs. 1 Nr. 1-5 BewG durch den überlebenden Ehegatten, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war und die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim). Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b S. 5 ErbStG fällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert (sog. Nachversteuerungstatbestand).

Die Klägerin hatte mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus bewohnt und wurde nach dessen Tod aufgrund Testaments Alleineigentümerin. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus und zog in eine Eigentumswohnung. Die Klägerin berief sich gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht erfolglos darauf, sie habe wegen einer depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod ihres Ehemannes gerade durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechtert habe, dieses auf ärztlichen Rat verlassen. Das FG war der Ansicht, es habe keine zwingenden Gründe für den Auszug gegeben, da der Klägerin nicht die Führung eines Haushalts schlechthin unmöglich gewesen sei.

Der BFH hat entschieden, dass die beim Erwerb des Hauses gewährte Erbschaftsteuerbefreiung nicht rückwirkend wegfällt, wenn der überlebende Ehepartner aus dem geerbten Familienheim auszieht, weil ihm dessen weitere Nutzung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist.

„Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Diese könne auch gegeben sein, wenn der Erbe durch den Verbleib im Familienheim eine erhebliche Beeinträchtigung seines Gesundheitszustands zu gewärtigen habe. Das FG hat deshalb im zweiten Rechtsgang, ggf. mit Hilfe ärztlicher Begutachtung, die geltend gemachte Erkrankung einschließlich Schwere und Verlauf zu prüfen.
 

1.2.Einkommensteuer

Zur Frage des Übergangs wirtschaftlichen Eigentums durch Einräumung von Filmverwertungsrechten
Einem Nutzungsberechtigten kann nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO ausnahmsweise das wirtschaftliche Eigentum an Filmrechten zuzurechnen sein. Dies kommt allerdings nur in Betracht, wenn der zivilrechtliche Eigentümer infolge der vertraglichen Vereinbarungen während der gesamten voraussichtlichen Nutzungsdauer der Filmrechte von deren Substanz und Ertrag wirtschaftlich ausgeschlossen ist.

Hieran fehlt es z. B., wenn der zivilrechtliche Eigentümer durch erfolgsabhängige Vergütungen während der gesamten Vertragslaufzeit weiterhin an Wertsteigerungen der Filmrechte beteiligt ist.

Die für Leasingverträge entwickelten Grundsätze zur Zurechnung wirtschaftlichen Eigentums können nicht uneingeschränkt auf die Nutzungsüberlassung von Filmrechten übertragen werden. Dies folgt insbesondere daraus, dass eine hinlänglich verlässliche Einschätzung der Wertentwicklung von Filmrechten im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertriebsvertrags regelmäßig nicht möglich ist.

BFH v. 14.04.2022, IV R 32/19

Hinweis
Wirtschaftsgüter sind nach § 39 Abs. 1 AO grundsätzlich dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzurechnen. Übt ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so ist ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO).

Die Klägerin ist eine Filmproduktionsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG, die ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. Im Jahr 2007 übertrug die Klägerin als Eigentümerin und Lizenzgeberin die Verwertungsrechte an dem Kinofilm X an die niederländische Firma F. Das Filmprojekt X scheiterte. Die Klägerin beschloss, einen Ersatzfilm zu produzieren. Hierzu wurden die bestehenden Verträge angepasst. Auch bezüglich dieses Ersatzfilms war die Klägerin alleinige und ausschließliche Eigentümerin aller Rechte. Die Klägerin räumte der F in einem Filmvertriebsvertrag für einen Zeitraum von 42 Jahren die umfassenden, alleinigen, exklusiven und unwiderruflichen Verwertungsrechte an diesem Ersatzfilm ein. Im Gegenzug sollte F der Klägerin zum einen jährliche fixe Zahlungen leisten. Ergänzend hierzu sollte der Klägerin eine zusätzliche Gewinnbeteiligung zustehen. Der Filmvertriebsvertrag enthielt im Zusammenhang mit seinem Auslaufen verschiedene Endschaftsregelungen. So war die Möglichkeit einer einvernehmlichen Laufzeitverlängerung vorgesehen. Falls die Vertragslaufzeit nicht verlängert werden sollte, wurde F eine Kaufoption eingeräumt. Als Optionspreis war u. a. ein Marktwertzuschlag vereinbart, wonach die Klägerin mit 25 % an einem höheren Marktwert des Films, der sich aus dem Differenzbetrag zwischen dem geschätzten Marktwert des Films und dem Kaufoptionspreis ergibt, zu beteiligen ist. Eine Verkaufsoption der Klägerin bestand nur in den Fällen der Auflösung, Liquidation oder Insolvenz der F bzw. in Fällen von Vertragsstörungen oder -verletzungen. Sollte die Vertragslaufzeit nicht verlängert werden und auch F die Kaufoption nicht ausüben, sollte der Klägerin das Recht zustehen, von der F die Gewährung eines zinslosen Darlehens verlangen zu können (Darlehensoption). Bei Ausübung der Darlehensoption wäre die Klägerin dazu verpflichtet gewesen, den Film zu vermarkten oder anderweitig zu verwerten, um das Darlehen an F zurückzuzahlen. Im Rahmen einer für das Streitjahr 2009 bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, die Filmvertriebsvereinbarung habe zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Filmrechten auf F geführt. Daraufhin behandelte die Betriebsprüfung die gesamten Lizenzzahlungen als einheitlichen Kaufpreis und aktivierte die Kaufpreisforderung der Klägerin zum Zeitpunkt der Ablieferung des Films mit ihrem Barwert.

Der BFH hat entschieden, dass die für Leasingverträge entwickelten Grundsätze zur Zurechnung wirtschaftlichen Eigentums nicht uneingeschränkt auf die Nutzungsüberlassung von Filmrechten übertragen werden können.

Die Aktivierung von Forderungen richtet sich bei buchführenden Gewerbetreibenden wie der Klägerin nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (§ 5 Abs. 1 S. 1 EStG). Danach hat der Kaufmann in seine Bilanz für den Schluss eines Geschäftsjahres u. a. seine Vermögensgegenstände und somit auch seine Forderungen vollständig aufzunehmen (§ 240 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1, § 242 Abs. 1, § 246 Abs. 1 HGB).

Gewinne sind nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 H. 2 HGB). Die Klägerin ist als Herstellerin des Films zivilrechtliche Eigentümerin der Filmverwertungsrechte. Das FG hat am Maßstab des § 39 AO zutreffend geprüft, ob die Klägerin durch den mit F geschlossenen Filmvertriebsvertrag ihr wirtschaftliches Eigentum an den Filmrechten übertragen hat. Ein schuldrechtlich oder dinglich Nutzungsberechtigter hat in der Regel kein wirtschaftliches Eigentum an dem ihm zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgut. Etwas anderes kann gelten, wenn der Nutzungsberechtigte statt des Eigentümers die Kosten der Anschaffung oder Herstellung eines von ihm selbst genutzten Wirtschaftsguts trägt und ihm auf Dauer, nämlich für die voraussichtliche Nutzungsdauer, Substanz und Ertrag des Wirtschaftsguts wirtschaftlich zustehen. Darüber hinaus kommt auch bei entgeltlichen Nutzungsüberlassungen, bei denen das Gesamtentgelt die vom Eigentümer getragenen Anschaffungs- und Herstellungskosten abdeckt, eine vom Eigentum abweichende wirtschaftliche Zurechnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO beim Nutzungsberechtigten in Betracht, wenn sich die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des Gegenstands und die Grundmietzeit annähernd decken oder zwar die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer erheblich länger als die Grundmietzeit ist, jedoch dem Nutzungsberechtigten ein Recht auf Verlängerung oder Kauf zusteht und bei Ausübung der Option nur ein geringer Mietzins oder Kaufpreis zu entrichten ist, d.  h. bei wirtschaftlich vernünftiger Entscheidungsfindung mit der Ausübung des Rechts zu rechnen ist. Diese allgemeinen Grundsätze gelten auch für die Nutzungsüberlassung von Filmrechten. Besonderheiten ergeben sich nicht nur daraus, dass es sich bei Filmrechten um immaterielle Wirtschaftsgüter handelt, die - anders als materielle Wirtschaftsgüter - einer Unterscheidung in bewegliche und unbewegliche Wirtschaftsgüter nicht zugänglich sind.
 
 
 

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