Auswertung Aufsätze 05 - 2022

1.Verfahrensrecht

1.1.NWB

Vertreterhaftung nach § 69 AO - Praxisrelevante Fragen unter Beachtung aktueller Rechtsprechung
Gehm, NWB 21/2022, S. 1.493

Anmerkung
Gem. § 69 S. 1 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO haften die gesetzlichen Vertreter einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind.

Mit Urteil v. 14.12.2021, VIII R 32/20 hat der BFH zur Haftung für pauschalierte Lohnsteuer entschieden.
  • Die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten begründet regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH. Das gilt auch im Fall der nachträglichen Pauschalierung der Lohnsteuer.
  • Bei der pauschalierten Lohnsteuer handelt es sich nicht um eine Unternehmenssteuer eigener Art, sondern um die durch die Tatbestandsverwirklichung des Arbeitnehmers entstandene und vom Arbeitgeber lediglich übernommene Lohnsteuer (Aufgabe der Senatsrechtsprechung im Urteil vom 03.05.1990 - VII R 108/88, BFHE 160, 417, BStBl. II 1990, 767).
 

2.Erbschaft-/Schenkungsteuer

2.1.DStR

Gemeinsamer Konsum als steuerbare Schenkung?
Wernsmann, Meickmann, DStR 19/2022, S. 905

Anmerkung
Gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Eine freigebige Zuwendung setzt in objektiver Sicht voraus, dass die Leistung zu einer Bereicherung des Bedachten auf Kosten des Zuwendenden führt und die Zuwendung objektiv unentgeltlich ist, und in subjektiver Hinsicht den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit. Mit Urteil V. 12.06.2018, 3 K 77/17 hat das FG Hamburg zur schenkungsteuerlichen Beurteilung einer gemeinsamen Luxus-Kreuzfahrt entschieden.
  • Wird unter Kostenübernahme ein echter Vertrag zugunsten Dritter geschlossen (hier: Buchung einer gemeinsamen Luxusreise), ist die Verschaffung des eigenen Forderungsrechts im Valutaverhältnis nur dann eine freigebige Zuwendung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wenn das Forderungsrecht für den Dritten rechtlich und tatsächlich frei verfügbar ist. Das Forderungsrecht des Dritten ist regelmäßig nicht rechtlich und tatsächlich frei verfügbar, wenn nach der Abrede im Valutaverhältnis die Leistung lediglich im Rahmen eines gemeinsamen Konsums erbracht werden soll (hier: allein bei Reisebegleitung).
  • Wird die Leistung im Vollzugsverhältnis tatsächlich an den Dritten erbracht (hier: Durchführung einer gemeinsamen Luxusreise), kann im Valutaverhältnis eine freigebige Zuwendung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nur darin liegen, dass auf einen Wertersatzanspruch gegen den Dritten verzichtet wird.
Ein solcher Wertersatzanspruch besteht nur, soweit der Dritte durch die Leistung eigene Aufwendungen erspart, und ist daher ausgeschlossen, wenn der Dritte die Leistung sonst nicht mit eigenen Mitteln erwirkt hätte (sog. Luxusaufwendungen).

Gemeinsamer Konsum ist i. d. R. nicht schenkungsteuerbar, weil die Voraussetzungen der Schenkung unter Lebenden nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht erfüllt sind. Zwar wird dem Eingeladenen bei vorab zu buchenden Dienst- und Werkleistungen oft schon vor dem eigentlichen Konsum ein eigenes Forderungsrecht eingeräumt, das grundsätzlich ein tauglicher Zuwendungsgegenstand i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG sein kann. Über das Forderungsrecht kann der Empfänger aber nicht frei verfügen, so dass er nicht bereichert ist. Die Leistungserbringung selbst ist als tatsächlicher Verbrauchsvorgang wiederum kein tauglicher Zuwendungsgegenstand i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Eine steuerbare Schenkung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Zuwendende im Anschluss an den gemeinsamen Konsum auf einen Wertersatzanspruch verzichten würde. Ein solcher Anspruch besteht üblicherweise nicht, weil ein Rechtsgrund gegeben ist; zudem wäre jedenfalls durch den Konsum Entreicherung eingetreten. Letztlich scheidet auch eine wertende Gesamtbetrachtung aus, weil eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise dem ErbStG fremd ist. Wird gemeinsamer Konsum damit schon dem Grunde nach i. d. R. nicht schenkungsteuerbar sein, kommt es nicht mehr darauf an, ob und inwieweit Steuerbefreiungen oder -freibeträge greifen.
 

3.Einkommensteuer

3.1.NWB

Gewerbliche Infizierung einer freiberuflichen Partnerschaftsgesellschaft - Aufgabenverteilung innerhalb der Praxisgemeinschaft muss wohl bedacht sein
Schneider, Schneider, NWB 19/2022, S. 1.354

Anmerkung
Erbringen die Gesellschafter ihre Leistungen teilweise gewerblich, ist die Tätigkeit der Personengesellschaft gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG grds. insgesamt als gewerblich zu qualifizieren. Die Tätigkeit der Gesellschaft kann nur einheitlich als entweder gewerblich oder nichtgewerblich gewertet werden (sog. Infektionswirkung).

Mit Urteil vom 16.09.2021, 4 K 1270/19 hat das FG Rheinland-Pfalz zur gewerblichen Infizierung einer freiberuflichen Partnerschaft (Zahnärzte) entschieden.
  • Werden in einer zahnärztlichen Partnerschaftsgesellschaft Organisation-, Verwaltungs- und Management-Aufgaben derart auf einen der Mitunternehmer konzentriert, dass dieser nahezu keinerlei zahnärztlichen Beratungs- oder Behandlungsleistungen mehr unmittelbar an Patienten erbringt, so erfüllt dies nicht mehr die Anforderungen der selbständig ausgeübten Tätigkeit als Zahnarzt und infiziert die Einkünfte der gesamten Partnerschaftsgesellschaft als gewerblich.
Nach Auffassung des FG Rheinland-Pfalz führt die Zentralisierung von Verwaltungs-, Organisations- und Managementaufgaben auf einen Gesellschafter einer ansonsten freiberuflich tätigen Partnerschaftsgesellschaft zu einer Umqualifizierung gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG der (gesamten) Einkünfte in solche aus Gewerbebetrieb. Zur Begründung führt der Senat u. a. aus, dass einem Gesellschafter, der hauptsächlich administrative und organisatorische Aufgaben wahrnimmt, das Merkmal der „Eigenverantwortlichkeit“ fehlt. Nach Ansicht der Verfasser sollten die Entscheidung Freiberufler-Mitunternehmerschaften „an der Grenze“ zum Anlass nehmen, die Aufgabenteilung genau zu dokumentieren und darauf zu achten, dass die Organisationsabläufe in einer Weise ausgestaltet sind, dass der jeweilige Freiberufler noch „Herr der Sache“ bleibt und den einzelnen Tätigkeiten durch Überwachung, Kontrolle und ggf. auch eigenen Eingriff seinen „Stempel“ aufdrückt.
 

3.2.DStR

Die Vorauszahlung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen als steuerliches Gestaltungsinstrument auch für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer
Posegga, DStR 22/2022, S. 1.073

Anmerkung
Grundidee der Vorauszahlung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ist, durch die Vorauszahlungen im Jahr des Abflusses die vollständige steuerliche Berücksichtigung der Beiträge für die Basisabsicherung zu erreichen und zugleich in den Folgejahren für den Abzug der sonstigen Vorsorgeaufwendungen i. S. d. § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG den vollen Höchstbetrag nach § 10 Abs. 4 S. 1 - 3 EStG zu erhalten.

Für Selbständige und Beamte ohne steuerfreien Arbeitgeberzuschuss stellt die Vorauszahlung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge schon lange ein interessantes wie erprobtes Gestaltungmodell dar. Der Verfasser weist darauf hin, dass auch für Angestellte mit steuerfreien Arbeitgeberzuschüssen zur Sozialversicherung besteht die Möglichkeit, ihre steuerliche Situation mit Blick auf die Vorsorgeaufwendungen zu optimieren. Allerdings sei die proaktive Gestaltung der steuerlichen Abzugsmöglichkeiten in diesen Fällen unter Umständen außerordentlich komplex. In der praktischen Beratung werde jeder Einzelfall individuell in all seinen Facetten zu betrachten sein.


Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes nach § 7 Abs. 4 S. 2 EStG im Lichte der neuen ImmoWertV 2021
Geiling, Jacoby, DStR 22/2022, S. 1.073

Anmerkung
Beträgt die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 weniger als 33 Jahre [alte Fassung: 25 Jahre], in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 Buchstabe a weniger als 50 Jahre, in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 Buchstabe b weniger als 40 Jahre, so können anstelle der Absetzungen nach Satz 1 die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechenden Absetzungen für Abnutzung vorgenommen werden (§ 7 Abs. 4 S. 2 EStG).

Mit Urteil v. 28.07.2021, IX R 25/19 hat der BFH zum Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entschieden.
  • Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes (§ 7 Abs. 4 S. 2 EStG) jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint; erforderlich ist insoweit, dass aufgrund der Darlegungen des Steuerpflichtigen der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, mit hinreichender Sicherheit geschätzt werden kann.
  • Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer.
Die Verfasser weisen darauf hin, dass entsprechend dem Wahlrecht nach § 7 Abs. 4 S. 2 EStG Steuerpflichtige und deren Berater bei sämtlichen Wohnimmobilien die am jeweiligen Kaufzeitpunkt maßgebliche RND anhand der ImmoWertV 2021 selbst annähernd ermitteln und begründen können. Gemäß dem Entwurf der ImmoWertA v. 22.12.2021 ist es beabsichtigt, die Anwendbarkeit der Anlage 2 ImmoWertV 2021 analog zur bisherigen Anlage 4 SW-RL u. a. auch bei Verwaltungs-­, Büro- und Geschäftsgebäuden sowie gemäß BFH-Urteil v. 28.07.2021 grundsätzlich auch bei Wohn- und Geschäftshäusern zuzulassen.

Diese näherungsweise RND ist in der Folge vom jeweiligen Finanzamt anzuerkennen, sofern vom jeweiligen Finanzamt keine nachvollziehbaren, nachprüfbaren wesentlichen Abweichungen, signifikante Ungereimtheiten bei den Objektangaben oder sonstige grobe Fehler „im Einzelnen“ konkretisiert bzw. vorgetragen werden.
 

4.Körperschaftsteuer

4.1.NWB

Zeitwertkonto beim beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer - Hessisches FG erweitert die Grenzen
Speidel, NWB 18/2022, S. 1.297

Anmerkung
Unter einer verdeckten Gewinnausschüttung i. S. d. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht.

Mit Urteil v. 29.09.2021, 4 K 1476/20 hat der BFH zur Qualifizierung von Gehaltszuführungen des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers auf ein sog. Zeitwerkonto als verdeckte Gewinnausschüttung entschieden.
  • Zuführungen einer Kapitalgesellschaft auf ein Investmentkonto das als Zeitwertkonto des Gesellschafter-Geschäftsführers geführt wird und das zur Ansammlung von Wertguthaben dient, um durch laufenden Gehaltsverzicht zukünftig nach Zeit bemessene Freizeit - in Form einer späteren zeitlichen Freistellung - zu erkaufen, sind dann nicht als verdeckte Gewinnausschüttung zu qualifizieren, wenn die Verwendung des Wertguthabens für den Gesellschafter-Geschäftsführer auf eine Vorruhestandsphase beschränkt ist und er bei Eintritt in den Vorruhestand als Organ der Gesellschaft ausscheidet.
  • In diesen Fällen liegt wirtschaftlich betrachtet eine bloße Entgeltumwandlung vor, bei der der Gesellschaftergeschäftsführer durch Rücklage bereits erdienter Aktivbezüge zu Gunsten künftiger Altersbezüge; über sein eigenes Vermögen verfügt.
Das Hessische FG sieht wegen der für Gesellschafter-Geschäftsführer vorgenommenen Modifikationen wesentliche Unterschiede zu den der BFH-Rechtsprechung und auch dem BMF-Schreiben zugrunde liegenden Sachverhalten. Zum einen wurde mit einem Gesellschafterbeschluss die Verwendung des Wertguthabens für Geschäftsführer auf die Vorruhestandsphase beschränkt und damit eine zeitliche Bemessung der Leistung des Geschäftsführers für die Gesellschaft vermieden. Mit der Abberufung als Geschäftsführer bei Inanspruchnahme der Wertguthabenvereinbarung scheidet ein nur teilweiser Ausstieg aus der aktiven Arbeitsphase aus; ein vollständiger Wechsel kann nach Auffassung des Finanzgerichts nicht mehr mit der nur bis dahin bestehenden Organstellung kollidieren. Insofern kommen die bisher angewandten Rechtsgrundsätze nicht mehr zu Anwendung. Bei dieser Sachverhaltskonstellation sieht das Finanzgericht in einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise vielmehr eine Entgeltumwandung, bei der der Gesellschafter-Geschäftsführer bereits erdiente Aktivbezüge zugunsten künftiger Altersbezüge zurücklegt, sich also durch den Verzicht auf die Auszahlung des ihm ohnehin zustehenden Arbeitslohns und dessen Einzahlung auf ein Investmentkonto selbst eine Altersversorgung finanziert.


Definitivbelastung mit Kapitalertragsteuer in Drittstaatenfällen unionsrechtskonform? - FG Düsseldorf, Urteil v. 2.3.2022 - 7 K 1424/18 KE
Hohage, NWB 18/2022, S. 1.302

Anmerkung
Die Körperschaftsteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug unterliegen, ist durch den Steuerabzug abgegolten, wenn der Bezieher der Einkünfte beschränkt steuerpflichtig ist und die Einkünfte nicht in einem inländischen gewerblichen oder land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb angefallen sind (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG).

Mit Urteil v. 02.03.2022, 7 K 1424/18 KE hat das FG Düsseldorf zur Erstattung von Kapitalertragsteuer auf Ausschüttungen an eine in Japan ansässige Muttergesellschaft entschieden.
  • Eine in Japan ansässige Mutterkapitalgesellschaft, die zu 100 % an einer inländischen GmbH beteiligt ist, hat ungeachtet der definitiven Wirkung des Quellensteuerabzugs aufgrund des Ausschlusses der Steueranrechnung in Japan keinen Anspruch auf die nachträgliche Erstattung der auf Ausschüttungen der GmbH einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer in analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 S. 2 EStG, weil sie sich nicht auf die – durch die vorrangige Niederlassungsfreiheit verdrängte – unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit berufen kann.
  • Für den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit kommt es auch in der Konstellation der Zahlung einer Dividende aus einem Mitgliedstaat an eine in einem Drittstaat ansässige Kapitalgesellschaft auf die konkrete Beteiligungshöhe der Empfängerin und die daraus resultiere.
  • Die Kapitalverkehrsfreiheit wird auch dann durch die vorrangige Niederlassungsfreiheit verdrängt, wenn die Niederlassungsfreiheit aufgrund der Ansässigkeit eines Unternehmens in einem Drittstaat nicht anwendbar ist.
Es ist durch die Rechtsprechung anerkannt, dass in den Fällen, in denen eine EU-Kapitalgesellschaft an eine andere EU-Kapitalgesellschaft Dividenden ausschüttet, diese – vorbehaltlich der Einschränkung durch die Mutter-Tochter-Richtlinie und lokaler Missbrauchsvorschriften wie §§ 50c, 50d Abs. 3 EStG – nicht endgültig mit einer lokalen Quellensteuer wie der Kapitalertragsteuer belastet werden dürfen. Gleiches gilt für aus Drittstaaten bezogene Dividenden einer EU-Kapitalgesellschaft. Der Verfasser weist darauf hin, dass der umgekehrte bislang weder vom BFH noch EuGH abschließend gewürdigt worden ist. Es erscheine nicht unwahrscheinlich, auch diese Fälle im Lichte der Kapitalverkehrsfreiheit zu beurteilen und daher keiner Definitivbelastung, wie sie § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG vorsieht, zu unterwerfen. Der weitere Verfahrensgang bleibe abzuwarten.
 

5.Internationales Steuerrecht

5.1.NWB

Unbeschränkte Steuerpflicht durch pandemiebedingte Reisebeschränkungen? - Gestrandet in Deutschland − Implikationen für die Besteuerung des Arbeitnehmers
Offerhaus, Vogler, NWB 19/2022, S. 1.371

Anmerkung
Für die steuerliche Beurteilung internationaler unternehmerischer Aktivitäten spielt der Tätigkeitsort eine entscheidende Rolle. Es ist also fraglich, welche Auswirkungen die unfreiwillige Verlegung des Tätigkeitsorts von Arbeitnehmern und Geschäftsführern infolge der coronabedingten umfassenden Kontakt- und Reisebeschränkungen auf die Besteuerung der Unternehmen haben kann.

Zur Auslegung von im Rahmen der COVID-19-Pandemie besonders interpretationsbedürftigen Abkommensregelungen veröffentlichte die OECD erstmals am 03.04.2020 einen Leitfaden, der mit einer zweiten Veröffentlichung am 21.01.2021 aktualisiert und erweitert wurde. Bezüglich gestrandeter Personen ohne Wohnsitz im Inland betont die OECD den temporären Charakter der Situation sowie die Verursachung durch außergewöhnliche Umstände.
Nach Ansicht der Verfasser sollten in Deutschland „gestrandete“ Arbeitnehmer aus DBA-Staaten weitgehend davor geschützt sein, dass ihr Festsitzen in einem anderen Land, z. B. in Deutschland, zu neu auflebenden Steuerpflichten führt. Sowohl die OECD als auch die Willensäußerung verschiedener Staaten (u. a. Deutschland) in Konsultationsvereinbarungen zu Grenzgängerregelungen sprechen dafür, dass man allgemein vertreten kann, dass Personen, die allein wegen der COVID-Pandemie in einem Staat gestrandet sind, dennoch ihren steuerlichen Hauptwohnsitz in ihrem vorherigen Wohnsitzstaat behalten sollten.
 

6.Sonstiges

6.1.NWB

Personelle Verflechtung bei mittelbarer Beteiligung - Änderung der BFH-Rechtsprechung zum sog. Durchgriffsverbot
Rösen, NWB 18/2022, S. 1.290

Anmerkung
Nach § 9 Nr. 1 S. 1 GewStG wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden Grundbesitzes gekürzt (sog. einfache Kürzung). An Stelle der Kürzung nach Satz 1 tritt nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG auf Antrag bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern, die Kürzung um den Teil des Gewerbeertrags, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (sog. erweiterte Kürzung). Die Inanspruchnahme der erweiterten Kürzung ist gem. § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG ausgeschlossen, wenn der Grundbesitz ganz oder zum Teil dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters oder Genossen dient. Die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die Verwaltung oder Nutzung des eigenen Grundbesitzes die Grenzen der Gewerblichkeit überschreitet. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Grundstücksunternehmen infolge einer Betriebsaufspaltung als Besitzunternehmen (originär) gewerbliche Einkünfte erzielt. Denn der Zweck der sog. Besitzgesellschaft ist in diesen Fällen von vornherein nicht auf die Vermögensverwaltung, sondern auf die Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr und die Partizipation an der durch die Betriebsgesellschaft verwirklichten Wertschöpfung gerichtet. Die Überlassung eines Grundstücks im Rahmen einer Betriebsaufspaltung wird deshalb als gewerbliche Tätigkeit beurteilt und schließt eine erweiterte Kürzung aus. Eine Betriebsaufspaltung liegt vor, wenn einem Betriebsunternehmen wesentliche Grundlagen für seinen Betrieb von einem Besitzunternehmen überlassen werden und die hinter dem Betriebs- und dem Besitzunternehmen stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen haben. Dieser ist anzunehmen, wenn die Person oder Personengruppe, die das Besitzunternehmen beherrscht, auch in dem Betriebsunternehmen ihren Willen durchsetzen kann. Ist aufgrund besonderer sachlicher und personeller Gegebenheiten eine so enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen dem Besitzunternehmen und dem Betriebsunternehmen zu bejahen, dass das Besitzunternehmen durch die Vermietungs- und Verpachtungstätigkeit über das Betriebsunternehmen am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, so ist das Besitzunternehmen nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG (originär) gewerblich tätig.

Mit Urteil v. 16.09.2021, IV R 7/18 hat der BFH zur Beherrschungsidentität bei mittelbarer Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an einer Besitz-Personengesellschaft entschieden.
  • Auch eine Beteiligung der an der Betriebsgesellschaft beteiligten Gesellschafter an einer Besitz-Personengesellschaft, die lediglich mittelbar über eine Kapitalgesellschaft besteht, ist bei der Beurteilung einer personellen Verflechtung als eine der Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung zu berücksichtigen (Änderung der Rechtsprechung).
Nach bisheriger BFH-Rechtsprechung konnte eine mittelbare Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an der potenziellen Besitz-Personengesellschaft nicht zu einer personellen Verflechtung führen. Aufgrund des für die Kapitalgesellschaft geltenden Durchgriffsverbots könne den Anteilseignern nicht direkt die Beherrschungsfunktion an der Besitzgesellschaft zugerechnet werden. Nach der nun geänderten Auffassung des BFH kann das Durchgriffsverbot jedoch nicht für die Frage nach der personellen Verflechtung maßgebend sein. Auch eine mittelbare Beteiligung könne eine entsprechende Beherrschungsstellung vermitteln, ohne dass dadurch die rechtliche Selbständigkeit der zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft berührt würde. Der Verfasser weist darauf hin, dass sich die Rechtsprechungsänderung nur auf Fälle bezieht, in denen die Besitzgesellschaft eine Personengesellschaft ist. Für Fälle, in denen eine Vermietung zwischen Schwesterkapitalgesellschaften erfolgt, hat der I. Senat des BFH eine kapitalistische Betriebsaufspaltung bisher verneint und hält auch nach der Rechtsprechungsänderung zur mittelbaren Beteiligung an Besitz-Personengesellschaften weiterhin an der bisherigen Auffassung fest.


Gewerblicher Grundstückshandel im Konzern - Zur Nachhaltigkeit bei Objektgesellschaften eines Immobilien-Konzerns
NWB 20/2022, S. 1.418

Anmerkung
Die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen wird nach § 9 Nr. 1 S. 1 GewStG um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden Grundbesitzes gekürzt. Nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG tritt an die Stelle der Kürzung nach Satz 1 auf Antrag bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern, die Kürzung um den Teil des Gewerbeertrags, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt. Die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist durch das Erfordernis der Ausschließlichkeit tatbestandlich zweifach begrenzt: Zum einen ist die unternehmerische Tätigkeit gegenständlich begrenzt, nämlich ausschließlich auf eigenen Grundbesitz oder daneben auch auf eigenes Kapitalvermögen, zum anderen sind Art, Umfang und Intensität der Tätigkeit begrenzt, dass nämlich die Unternehmen dieses Vermögen ausschließlich verwalten und nutzen. Rechtsfolge der erweiterten Kürzung ist, dass die Erträge, soweit sie aus der Verwaltung und Nutzung dieses eigenen Grundbesitzes resultieren, im Ergebnis nicht in den Gewerbeertrag und den Gewerbesteuermessbetrag eingehen und somit nicht der Gewerbesteuer unterliegen. Begünstigt ist nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG lediglich die „Verwaltung und Nutzung” eigenen Grundbesitzes. Der Begriff „Verwaltung und Nutzung” entspricht dem ertragsteuerlichen Begriff der Vermögensverwaltung. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass die erweiterte Kürzung nicht gewährt werden kann, wenn die Grundstücksverwaltung des Unternehmens den Bereich der reinen Vermögensverwaltung verlässt und gewerblichen Charakter annimmt.

Mit Urteil v. 18.01.2022, 8 K 8008/21 hat das FG Berlin-Brandenburg zur erweiterten Grundstückskürzung bei gewerblichem Grundstückshandel im Konzern entschieden.
  • Der Begriff „Verwaltung und Nutzung” in § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG entspricht dem ertragsteuerlichen Begriff der Vermögensverwaltung. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die erweiterte Kürzung nicht gewährt werden kann, wenn die Grundstücksverwaltung des Unternehmens den Bereich der reinen Vermögensverwaltung verlässt und gewerblichen Charakter annimmt.
Wann im Einzelfall eine „Verwaltung und Nutzung” eigenen Grundbesitzes als private Vermögensverwaltung in Abgrenzung zu einer gewerblichen Tätigkeit vorliegt, ist nach den gleichen Grundsätzen zu entscheiden, die auch für die Abgrenzung zwischen Vermögensverwaltung und Gewerbebetrieb im Sinne des § 15 EStG gelten.
  • Ist die Tätigkeit des Unternehmens infolge des Ankaufs und Verkaufs von mehr als drei Immobilienobjekten innerhalb von fünf Jahren nach der sogenannten Drei-Objekt-Grenze als gewerblich anzusehen, steht ihm die erweiterte Gewerbeertragskürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG nicht zu, ohne dass es insoweit noch auf die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen für einen „Gewerbebetrieb” im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG „Nachhaltigkeit” oder „Gewinnerzielungsabsicht” ankäme.
  • Veräußert das Unternehmen binnen eines kurzen Zeitraums von unter drei Jahren seit dem Erwerb fünf Objekte, wird die dadurch indizierte, von Anfang an bestehende – zumindest bedingte – Veräußerungsabsicht weder durch die langfristige Finanzierung des Erwerbs durch ein Darlehen mit zehnjähriger Laufzeit widerlegt noch durch den Umstand, dass das Unternehmen zu einer Immobiliengruppe gehört und in dem Unternehmen als Objektgesellschaft mehrere Grundstücke zusammengefasst worden sind.
  • Besteht in einem Immobilienkonzern hinsichtlich Beteiligungsstruktur und Geschäftsführung eine Personenidentität hinsichtlich der einzelnen Objektgesellschaften, so ist den einzelnen Objektgesellschaften die für den gesamten Konzern bestehende Wiederholungsabsicht der Geschäftsführer zum wiederholten Erwerb und zur wiederholten Veräußerung von Immobilien im Hinblick auf die Nachhaltigkeit im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG „zuzurechnen”; in diesem Fall ist für die Nachhaltigkeit nicht nur auf die einzelnen Objektgesellschaften für sich genommen abzustellen.
Für Kapitalgesellschaften erfolgt die Prüfung, ob ein gewerblicher Grundstückshandel gegeben ist, auf Ebene der Gesellschaft selbst. Dies gelte laut Finanzgericht jedoch nicht, wenn in einem Immobilienkonzern hinsichtlich Beteiligungsstruktur und Geschäftsführung Personenidentität bei den einzelnen Objektgesellschaften besteht. In diesem Fall sei den einzelnen Objektgesellschaften die für den gesamten Konzern bestehende Absicht der Geschäftsführer zum wiederholten Erwerb und zur wiederholten Veräußerung von Immobilien im Hinblick auf die Nachhaltigkeit i. S. d. § 15 Abs. 2 EStG zuzurechnen. Bezogen auf die Nachhaltigkeit sei demnach nicht nur auf die einzelnen Objektgesellschaften für sich abzustellen. Kapitalgesellschaften entfalten aufgrund ihrer rechtlichen Selbständigkeit eine steuerliche Abschirmwirkung im Hinblick auf ihre Anteilseigner (sog. Durchgriffsverbot). Ein Durchgriff kann steuerrechtlich nur in seltenen Ausnahmenfällen vorgenommen werden, für die eine besondere Rechtfertigung gegeben sein muss. Mit einer konzernbezogenen Betrachtung zur Prüfung der Nachhaltigkeit würde das Durchgriffsverbot ein weiteres Mal eingeschränkt, sodass auch in Bezug auf einzelne Objektgesellschaften regelmäßig ein gewerblicher Grundstückshandel anzunehmen sein könnte.
 

7.Sonstiges

7.1.NWB

Keine erweiterte Gewerbesteuerkürzung bei unterjährigem Erwerb des Grundstücks - Anmerkung zum BFH-Beschluss v. 27.10.2021 - III R 7/19
Meding, Müller, NWB 15/2022, S. 1.053

Anmerkung
Gem. § 9 Nr. 1 S. 1 GewStG wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden und nicht von der Grundsteuer befreiten Grundbesitzes gekürzt (sog. einfache Kürzung); maßgebend ist der Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunktes vor dem Ende des Erhebungszeitraums. Stattdessen kann nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern, auf Antrag die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um den Teil des Gewerbeertrags gekürzt werden, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (sog. erweiterte Kürzung). Dieser Teil des Gewerbeertrags geht nicht in die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer ein und wird so im Ergebnis nicht mit Gewerbesteuer belastet. Voraussetzung für die Gewährung der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist u.a., dass das Unternehmen „ausschließlich“ eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt, abgesehen von den in § 9 Nr. 1 S. 2 u. 3 GewStG zugelassenen Ausnahmen.

Mit Urteil v. 27.10.2021, III R 7/19 hat der BFH entschieden, dass die erweiterte Grundstückskürzung nicht gewährt wird, wenn das Grundstück unterjährig erworben wird.
  • Befasst sich eine neu gegründete Kapitalgesellschaft erst Monate nach ihrer Eintragung in das Handelsregister mit der Verwaltung eigenen Grundbesitzes, kann sie die sog. erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG nicht in Anspruch nehmen, da sie in diesem Fall nicht ausschließlich grundstücksverwaltend tätig ist.
Nach Ansicht der Verfasser sollte es ausreichen, wenn die Gesellschaft ausdrücklich zum Erwerb eines Objekts gegründet wird, der Erwerb tatsächlich zeitnah (z. B. wenige Wochen) zur Gründung erfolgt und auf den Erwerb des konkreten Objekts in der Gründungsdokumentation Bezug genommen wird. Einen Zeitraum von mehreren Monaten zwischen Gründung und Objekterwerb hat der BFH im Streitfall jedenfalls als nicht ausreichend angesehen, so dass der Zeitraum möglichst kurz gehalten werden sollte. In diesem Fall sollte die Tätigkeit der Gesellschaft im abgekürztem Erhebungszeitraum ausschließlich dem Erwerb, Halten und Verwalten des Grundbesitzes dienen und die erweiterte Kürzung zu gewähren sein. Da dieser Fall aber – soweit ersichtlich – bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist, verbleiben gewisse Risiken für die Anerkennung im Jahr der Gründung der Gesellschaft.
 

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