Rechtsprechung KW 05 - 2022

 

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Formelle Satzungsmäßigkeit und Vermögensbindung
Eine Satzung genügt nur dann dem Grundsatz der satzungsmäßigen Vermögensbindung (§§ 61 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 4 AO), wenn sie auch eine ausdrückliche Regelung für den Wegfall des bisherigen Zwecks der Körperschaft enthält.

Vertrauensschutzgesichtspunkte sind im Verfahren der erstmaligen negativen Feststellung nach § 60a Abs. 1 AO nicht zu berücksichtigen.

Gegenstand des Feststellungsverfahrens nach § 60a Abs. 1 S. 1 AO ist nur eine bestimmte Satzung, wenn diese in dem Feststellungsbescheid ausdrücklich erwähnt ist.

BFH v. 26.08.2021, V R 11/20

Hinweis
Eine steuerlich ausreichende Vermögensbindung (§ 55 Abs. 1 Nr. 4) liegt vor, wenn der Zweck, für den das Vermögen bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks verwendet werden soll, in der Satzung so genau bestimmt ist, dass auf Grund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist (§ 61 Abs. 1 AO).

Die Beteiligten streiten um die formelle Satzungsmäßigkeit des Gesellschaftsvertrages der Klägerin, einer GmbH, deren Gegenstand die gemeindepsychiatrische Versorgung eines Kreises ist. Insbesondere ist streitig, ob der Vertrag die Anforderungen an die satzungsmäßige Vermögensbindung (§ 61 Abs. 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) erfüllt.

Der BFH hat entschieden, dass eine Satzung nur dann dem Grundsatz der satzungsmäßigen Vermögensbindung genügt, wenn sie auch eine ausdrückliche Regelung für den Wegfall des bisherigen Zwecks der Körperschaft enthält.

Der Gesellschaftsvertrag genügt nicht den Anforderungen an die satzungsmäßige Vermögensbindung (§ 61 Abs. 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO), da im Gesellschaftsvertrag der Klägerin ausdrückliche Bestimmungen der Vermögensbindung für den Wegfall des bisherigen Zwecks der Klägerin fehlen. Die Klägerin kann sich hinsichtlich des Gesellschaftsvertrages im Rahmen der Feststellung der formellen Satzungsmäßigkeit nicht auf Vertrauensschutz berufen, da das FA im Streitfall erstmals einen Feststellungsbescheid nach § 60a Abs. 1 AO erlassen hat, wobei auch die negative Feststellung der satzungsmäßigen Voraussetzungen von dieser Vorschrift erfasst wird.


Inhalt eines Wirkhinweises
Für einen Wirkhinweis nach § 181 Abs. 5 S. 2 AO ist der Hinweis erforderlich und ausreichend, dass die Feststellung für noch nicht verjährte Folgebescheide von Bedeutung ist.

Der Hinweis darf keine konkrete Zeitangabe zu der vermeintlichen Verjährung im Folgebescheidverfahren enthalten, da Feststellungen zur Festsetzungsverjährung nur im Folgebescheid zu treffen sind.

BFH v. 15.07.2021, II R 38/19

Hinweis
Nach § 181 Abs. 5 S. 1 AO kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist; hierbei bleibt § 171 Abs. 10 AO außer Betracht. Nach § 181 Abs. 5 S. 2 AO ist hierauf im Feststellungsbescheid hinzuweisen.

Der Kläger ist aufgrund eines Erbfalls 1978 Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks im Land Brandenburg geworden. Der letzte Einheitswertbescheid war auf den 01.01.1942 ergangen. Auf dessen Grundlage setzte die Gemeinde für die Jahre von 1995 bis 2014 Grundsteuer gegen den Kläger fest, die dieser auch entrichtete. Das FA rechnete im Wege der Zurechnungsfortschreibung auf den 01.01.1991 ohne Änderung von Art- und Wertfeststellung das Grundstück dem Kläger zu. Einen Hinweis nach § 181 Abs. 5 S. 2 AO oder einen anderen Hinweis auf eine zeitlich beschränkte Geltung enthielt dieser Bescheid nicht. Zugleich erging ein Grundsteuermessbescheid als Neuveranlagung auf den 01.01.1991. Unter „Erläuterungen“ ist ausgeführt, wegen Eintritts der Verjährung gelte der festgesetzte Steuermessbetrag erst ab 10.01.2013. Die Neuveranlagung beruhe auf dem Fortfall einer in Deutschland fortgeltenden Ermäßigung des Grundsteuermessbetrags. Der Kläger machte geltend, die Fortschreibung habe auf den 01.01.1979 erfolgen müssen.

Der BFH hat entschieden, dass für einen Wirkhinweis nach § 181 Abs. 5 S. 2 AO der Hinweis erforderlich und ausreichend ist, dass die Feststellung für noch nicht verjährte Folgebescheide von Bedeutung ist.

Der Hinweis nach § 181 Abs. 5 S. 2 AO hat Regelungscharakter i. S. v. § 118 AO. Er bestimmt den zeitlichen Geltungsbereich der getroffenen Feststellungen und wirkt damit rechtsgestaltend auf das Steuerrechtsverhältnis ein. Enthält der Bescheid den Hinweis nicht, ist er rechtswidrig. Wird ein Hinweis nach § 181 Abs. 5 S. 2 AO erteilt, bedarf es dafür keiner Prüfung der Verjährung des maßgebenden Folgebescheids. Bei Erlass eines Einheitswertbescheids unter Beifügung eines Wirkhinweises ist insbesondere nicht zu prüfen, ob die insoweit maßgebende Grundsteuer verjährt ist. Eine Entscheidung mit Regelungscharakter i. S. v. § 118 AO über die Frage, ob Verjährung in der Grundsteuer eingetreten ist, ist im Rahmen des Einheitswertbescheids mit Wirkhinweis nicht nur nicht geboten, sondern nicht zulässig. Es ist unzulässig, einen Wirkhinweis im Grundlagenbescheid nach § 181 Abs. 5 S. 2 AO allein durch eine konkrete Zeitangabe zu der vermeintlichen Verjährung im Folgebescheidverfahren zu gestalten. Geschieht dies dennoch und ist der Bescheid für sich genommen in verjährter Zeit ergangen, ist er insgesamt rechtswidrig. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, einen Hinweis in der Art aufzunehmen, dass die Feststellung für noch nicht verjährte Folgebescheide von Bedeutung ist, oder eine ähnliche an das Gesetz angelehnte Formulierung zu wählen. Eine Entscheidung über die Frage, für welche Folgebescheide die Feststellung tatsächlich von Bedeutung ist, ist nicht zu treffen und ersetzt den Wirkhinweis nicht.
 

1.2.Einkommensteuer

Steuerfreie Zuschläge für tatsächlich an Sonn-, Feiertagen oder zur Nachtzeit geleistete Arbeit
Tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit ist jede zu den begünstigten Zeiten tatsächlich im Arbeitgeberinteresse ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers, für die er einen Anspruch auf Grundlohn hat.

Die arbeitszeitrechtliche Einordnung der Tätigkeit nach dem Arbeitszeitgesetz ist für die Auslegung des Begriffs der tatsächlich geleisteten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit i. S. v. § 3b Abs. 1 EStG ohne Bedeutung.

Eine konkret (individuell) belastende Tätigkeit des Arbeitnehmers verlangt § 3b EStG für die Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschlägen nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer eine grundlohnbewehrte Tätigkeit tatsächlich zu den begünstigten Zeiten ausübt.

BFH v. 16.12.2021, VI R 28/19

Hinweis
Nach § 3b Abs. 1 EStG sind Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, steuerfrei, soweit sie bestimmte Prozentsätze des Grundlohns nicht übersteigen.

Die Klägerin nimmt mit einer Mannschaft am Spielbetrieb einer deutschen Profiliga teil. Die bei ihr angestellten Spieler und Betreuer sind verpflichtet, zu Auswärtsspielen im Mannschaftsbus anzureisen. Erfolgte die Anreise an Sonn- oder Feiertagen oder in der Nacht, dann erhielten Spieler und Betreuer hierfür neben ihrem Grundgehalt steuerfreie Zuschläge. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass für die Beförderungszeiten zu Auswärtsspielen, soweit diese nicht mit belastenden Tätigkeiten verbunden seien (bloßer Zeitaufwand im Mannschaftsbus), keine steuerfreien Zuschläge geleistet werden könnten. Der hierauf entfallende Teil der Zuschläge sei daher von der Klägerin nachzuversteuern. Dagegen wehrte sich die Klägerin.

Der BFH hat entschieden, dass die vom Arbeitgeber geleisteten Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit steuerfrei sind, wenn Profisportler im Mannschaftsbus zu Auswärtsspielen fahren.

Für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiungsvorschrift genügt es, wenn der Arbeitnehmer – wie hier – zu den in § 3b EStG genannten Zeiten im Interesse seines Arbeitgebers tatsächlich tätig wird, für diese Tätigkeit ein Vergütungsanspruch besteht und noch zusätzlich Zuschläge gewährt werden. Ob sich die Reisezeiten im Mannschaftsbus für Spieler und Betreuer als individuell belastende Tätigkeit darstellen, ist hingegen unerheblich. Eine solche verlangt das Gesetz für die Steuerfreiheit der Zuschläge nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass eine mit einem Grundlohn vergütete Tätigkeit – hier die gesamte und damit auch die passive Fahrtätigkeit – zu den nach § 3b EStG begünstigten Zeiten (Sonntags, Feiertags oder Nachts) tatsächlich ausgeübt wird. Ob die zu diesen Zeiten verrichtete Tätigkeit den einzelnen Arbeitnehmer in besonderer Weise fordert oder ihm „leicht von der Hand“ geht, ist nicht entscheidend. Die Höhe der von der Klägerin steuerfrei gezahlten Zuschläge stand vorliegend nicht in Streit. Die Klägerin hat bei deren Berechnung die nach § 3b EStG höchstens steuerfrei anwendbaren Prozentsätze gewahrt und den Stundenlohn für die Berechnung der Zuschläge – wie im Gesetz vorgesehen – mit höchstens 50 € angesetzt. In einem solchen Fall steht es der Steuerfreiheit nicht entgegen, wenn der Stundenlohn – wie beispielsweise bei Spitzensportlern – tatsächlich 50 € überschreitet.


Beherrschungsidentität bei mittelbarer Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an einer Besitz-Personengesellschaft
Auch eine Beteiligung der an der Betriebsgesellschaft beteiligten Gesellschafter an einer Besitz-Personengesellschaft, die lediglich mittelbar über eine Kapitalgesellschaft besteht, ist bei der Beurteilung einer personellen Verflechtung als eine der Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung zu berücksichtigen (Änderung der Rechtsprechung).

BFH v. 16.09.2021, IV R 7/18

Hinweis
Nach § 9 Nr. 1 S. 1 GewStG wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden Grundbesitzes gekürzt (sog. einfache Kürzung). An Stelle der Kürzung nach Satz 1 tritt nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG auf Antrag bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern, die Kürzung um den Teil des Gewerbeertrags, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (sog. erweiterte Kürzung).

Die Inanspruchnahme der erweiterten Kürzung ist gem. § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG ausgeschlossen, wenn der Grundbesitz ganz oder zum Teil dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters oder Genossen dient. Der Gesetzgeber sieht in diesem Fall die Voraussetzungen für eine Begünstigung des Grundstücksunternehmens nicht mehr als gegeben an, weil bei einer Nutzung des Grundstücks im Gewerbebetrieb des Gesellschafters ohne Zwischenschaltung eines weiteren Rechtsträgers die Grundstückserträge in den Gewerbeertrag einfließen und damit der Gewerbesteuer unterliegen würden.

Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, vermietete mit Vertrag aus 1998 eine ehemalige Produktionshalle, Büroräume und Nebenräume an die mit ihr über die H GmbH verbundene (spätere) M-GmbH & Co. KG (M KG; damals noch GmbH), die die vermietete Immobilie neben weiteren Grundstücken betrieblich nutzte. Das Mietverhältnis mit der M KG bestand auch in den Streitjahren (2010 bis 2012) fort. Obwohl die Klägerin während der Außenprüfung die erweiterte Kürzung i. S. v. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG beantragt hatte, traf der Prüfer zur Gewerbesteuer keine Feststellungen. Den Einspruch lehnte das FA ab und führte aus, dass wegen der im Sonderbetriebsvermögen der Kommanditisten der Klägerin gehaltenen Beteiligungen an der H GmbH keine ausschließliche Verwaltung eigenen Grundbesitzes vorliege.

Der BFH hat entschieden, dass auch eine Beteiligung der an der Betriebsgesellschaft beteiligten Gesellschafter an einer Besitz-Personengesellschaft, die lediglich mittelbar über eine Kapitalgesellschaft besteht, bei der Beurteilung einer personellen Verflechtung als eine der Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung zu berücksichtigen ist.

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass § 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1 GewStG der Inanspruchnahme der erweiterten Kürzung im Streitfall nicht entgegensteht. Der Inanspruchnahme der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG steht im Streitfall jedoch entgegen, dass in den Streitjahren zwischen der Klägerin als Besitzunternehmen und der M-KG als Betriebsunternehmen eine Betriebsaufspaltung bestanden hat. Zwar ist das FG nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung - auch des erkennenden Senats - davon ausgegangen, dass - im Gegensatz zu einer mittelbaren Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an der Betriebsgesellschaft - durch eine mittelbare Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft an der Klägerin als Besitz-Personengesellschaft keine personelle Verflechtung begründet werden kann. An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat unter Berücksichtigung der von ihm eingeholten Stellungnahmen des I. und des III. Senats des BFH jedoch nicht mehr fest. Zu beachten ist aber, dass diese Maßstäbe nach Auffassung des I. Senats des BFH auch weiterhin nicht für eine Besitz-Kapitalgesellschaft gelten. Das aus dem Trennungsprinzip abzuleitende „Durchgriffsverbot“ lasse es nicht zur, im Rahmen der Besteuerung der Besitz-Kapitalgesellschaft für die Frage, ob ein einheitlicher Geschäfts- und Betätigungswille hinsichtlich der Tätigkeit der Betriebsgesellschaft bestehe, auf die Anteilsinhaberschaft bzw. Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter der Besitz-Kapitalgesellschaft abzustellen.

 

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