Rechtsprechung KW 41 - 2020

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Erbschaftsteuerfestsetzung gegen unbekannte Erben
Die Festsetzung von Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben ist zulässig, wenn hinreichend Zeit zur Verfügung stand, die Erben zu ermitteln.

Für eine Erbenermittlung, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, ist ein Zeitraum von einem Jahr ab dem Erbfall in der Regel angemessen. Jedenfalls nach Ablauf von drei Jahren und fünf Monaten ist es auch bei besonders schwierigen Erbenermittlungen nicht zu beanstanden, Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben festzusetzen.

Der Bescheid ist dem Nachlasspfleger bekanntzugeben.

BFH v. 17.06.2020, II R 40/17

Hinweis:
Ein Verwaltungsakt muss gem. § 119 Abs. 1 AO inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Er ist nichtig und damit nach § 124 Abs. 3 AO unwirksam, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 125 Abs. 1 AO).

Im Streitfall war die Erbengemeinschaft nach dem im Februar 2014 verstorbenen Erblasser zunächst nicht ermittelbar. Es wurde ein Nachlasspfleger bestellt. Dieser gab eine Erbschaftsteuererklärung ab. Ca. 14 Monate nach dem Tod des Erblassers setzte das FA Erbschaftsteuer gegen „unbekannte Erben“ fest. Es schätzte, dass 20 Personen, die nicht näher mit dem Erblasser verwandt waren und deshalb in die Steuerklasse III fielen, den Erblasser zu gleichen Teilen beerbt hätten. Der Bescheid wurde dem Nachlasspfleger bekannt gegeben. Dieser legte dagegen in Vertretung der unbekannten Erben Einspruch ein und monierte, dass er nicht ausreichend Zeit gehabt hätte, die Erben zu ermitteln. Das FA könne nicht einfach schätzen, wie viele Erben etwas geerbt hätten und wie hoch die Freibeträge seien. Daraufhin änderte das FA die Anzahl der Erwerber auf 30 Erben ab. Ansonsten hielt es die Erbschaftsteuerfestsetzung unverändert aufrecht.

Der BFH hat entschieden, dass auch unbekannte Erben zur Erbschaftsteuer herangezogen werden können. Zumindest dann, wenn ausreichend Zeit bestand, die wahren Erben zu ermitteln, dies aber nicht gelungen ist.

Sind die Erben noch nicht bekannt und ist eine Nachlasspflegschaft angeordnet, kann Erbschaftsteuer gegen die „unbekannten Erben“ festgesetzt werden. Bei diesen handelt es sich zunächst um ein abstraktes Subjekt, das sich später als eine oder mehrere reale Personen herausstellen kann. Somit ist ein Schuldner für die Erbschaftsteuer vorhanden. Das FA kann sich an den bestellten Nachlasspfleger wenden, der für die unbekannten Erben eine Erbschaftsteuererklärung abzugeben hat. Das FA darf dann die Anzahl der Erben, die Erbquoten, die Zugehörigkeit zu einer Steuerklasse und die anwendbaren Freibeträge schätzen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Nachlasspfleger nach dem Erbfall ausreichend Zeit hatte, zunächst die Erben zu ermitteln. Wieviel Zeit ihm dafür einzuräumen ist, kann von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Im Allgemeinen gilt die Faustregel, dass ein Jahr ausreichend ist.

Ruft der Nachlasspfleger das FG an, dann muss dieses die Schätzung des FA voll überprüfen. Können die zunächst unbekannten Erben bis zum Schluss des Gerichtsverfahrens ermittelt werden, darf die Erbschafsteuer aber nicht mehr gegen die unbekannten Erben festgesetzt werden. Werden die Erben auch im Verfahren vor dem (FG) nicht ermittelt, kann das Gericht die Erbschaftsteuerschätzung gegen die unbekannten Erben aufrechterhalten und als seine eigene übernehmen. Der BFH ist in solchen Fällen dann ebenfalls an die Schätzung gebunden und kann sie nur auf grobe Fehler überprüfen.
 

1.2.Einkommensteuer

Steuerpflichtige Zinsanteile in Rentenzahlungen bei teilentgeltlicher Übertragung eines Vermögensgegenstands gegen eine Veräußerungszeitrente
Auch bei der teilentgeltlichen Übertragung eines Grundstücks und Gebäudes des Privatvermögens gegen eine Veräußerungszeitrente fließen dem Veräußerer von Beginn an steuerpflichtige Zinseinkünfte gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu, soweit die Rentenzahlungen nicht auf den Unterschiedsbetrag zwischen dem Barwert der Rentenforderung zu Beginn und zum Ende des Streitjahres (sog. Tilgungsanteil) entfallen.

BFH v. 14.07.2020, VIII R 3/17

Hinweis:
Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören u. a. Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG).

Die Kläger, ein zusammen veranlagtes Ehepaar, hatten im Jahr 2012 einem ihrer Söhne und dessen Ehefrau ein Grundstück mit Gebäude gegen eine monatliche Rente in Höhe von 1.000 € übertragen. Die Rente hatte insgesamt eine Laufzeit von 30 Jahren und 2 Monaten, zu Beginn des Streitjahres 2013 betrug die Laufzeit noch 29 Jahre und 2 Monate. Die Rente war bis zum Tod des Längstlebenden der Kläger und danach bis zum Ende der Laufzeit an deren Erben zu zahlen. Die Kläger argumentierten, die Rentenzahlungen seien nicht in einen Tilgungs- und Zinsanteil aufzuteilen (§ 13 Abs. 1 BewG). Sie hätten die Immobilie mit Rücksicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Sohns und der Schwiegertochter bewusst gegen niedrige Rentenzahlungen mit langer Laufzeit zu einem Entgelt unterhalb des Verkehrswerts am Übertragungsstichtag übertragen, statt die Immobilie zu einem marktgerechten Preis zu veräußern und den Verkaufserlös anzulegen. Da sie bewusst auf Einnahmen verzichtet und den Übernehmern diese Vorteile wirtschaftlich betrachtet zugewendet hätten, könnten die Rentenzahlungen keinen einkommensteuerbaren Zinsertrag enthalten.

Der BFH hat entschieden, dass Eltern mit den Rentenzahlungen steuerpflichtige Zinseinkünfte zufließen, wenn die Eltern im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ein Grundstück gegen eine Veräußerungszeitrente an ihre Kinder übertragen.

Der BFH folgte der Argumentation der Kläger nicht. Es handele sich nicht um eine unentgeltliche erbrechtliche Übertragung, sondern trotz der Übertragung zu einem Preis unterhalb des Verkehrswerts um ein einkommensteuerbares Veräußerungsgeschäft. Die Rentenzahlungen aus einer Veräußerungszeitrente seien beim Veräußerer und Erwerber gem. § 13 Abs. 1 BewG in einen Tilgungs- und Zinsanteil aufzuteilen. Der Tilgungsanteil entspreche dem Barwert des Rentenstammrechts, der sich aus der Abzinsung aller noch ausstehenden Teilbeträge ergebe. In Höhe der Differenz des Barwerts der Rentenforderung zur jeweiligen Rentenzahlung erziele der Veräußerer einen steuerpflichtigen Zinsertrag. Dies gelte auch, wenn die dem Veräußerer zufließenden Tilgungsanteile nicht im Rahmen eines privaten Veräußerungsgeschäfts gem. § 23 EStG einkommensteuerbar seien. Der BFH erachtete den für die Aufteilung der Rentenforderung in einen Tilgungs- und Zinsanteil gem. § 13 Abs. 1 BewG maßgeblichen Zinssatz von 5,5% auch für verfassungsgemäß. Der in den Rentenzahlungen des Streitjahres 2013 (12.000 €) enthaltene Zinsanteil betrug danach 9.420 € und führte in dieser Höhe zu steuerpflichtigen Zinseinkünften der Kläger.

Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung von „Gold Bullion Securities“ Inhaberschuldverschreibungen
Der Gewinn aus der Veräußerung an der Börse gehandelter Inhaberschuldverschreibungen, die einen Anspruch gegen die Emittentin auf Lieferung physischen Goldes verbrieften und den aktuellen Goldpreis abbildeten (z. B. „Gold Bullion Securities“), ist jedenfalls dann nicht nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 i. V. m. Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerpflichtig, wenn die Emittentin verpflichtet ist, das ihr zur Verfügung gestellte Kapital nahezu vollständig zum Erwerb von Gold einzusetzen (Anschluss an Senatsurteil v. 12.05.2015, VIII R 35/14, BStBl. 2015 II S. 834).

Dies gilt auch dann, wenn nach den Emissionsbedingungen der Inhaber bei der Kündigung der Schuldverschreibungen statt der Lieferung des verbrieften Goldes die Auszahlung des Erlöses aus dem Verkauf des für ihn hinterlegten Goldes verlangen kann. Auch in diesem Fall wird primär eine Sachleistung geschuldet (entgegen BMF v. 18.01.2016, IV C 1-S 2252/08/10004:017, BStBl. 2016 I S. 85 Rz. 57).

BFH v. 16.06.2020, VIII R 7/17

Hinweis:
Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehört u. a. der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (§ 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 EStG).

Der Kläger des Revisionsverfahrens veräußerte seine „Gold Bullion Securities“ Inhaberschuldverschreibungen über ein Jahr nach der Anschaffung mit Gewinn. Bei den „Gold Bullion Securities“ handelte es sich um durch physisches Gold besicherte, unbefristete Schuldverschreibungen ohne Verzinsung und ohne Endfälligkeit. Dabei verbriefte jede einzelne „Gold Bullion Security“ Schuldverschreibung einen effektiven Anspruch auf Gold. Das den Wertpapieren zugewiesene physische Gold wurde als identifizierbare Goldbarren hinterlegt. Der Inhaber der Schuldverschreibung hatte das Recht, nach einer jederzeitig möglichen Kündigung die Auslieferung des Goldes zu verlangen. Alternativ hatte er die Möglichkeit, das Gold von der Emittentin veräußern und sich den dabei erzielten Veräußerungserlös auszahlen zu lassen. Das FA besteuerte den erzielten Gewinn als Einkünfte aus Kapitalvermögen. Das Finanzgericht gab der hiergegen erhobenen Klage statt und sah den Gewinn als nicht steuerbar an.

Der BFH hat entschieden, dass es sich bei der Veräußerung an der Börse gehandelter Inhaberschuldverschreibungen, die einen Anspruch gegen die Emittentin auf Lieferung physischen Goldes verbriefen und den aktuellen Goldpreis abbilden, nicht um die steuerpflichtige Veräußerung einer Kapitalforderung handelt.

Nach Auffassung des BFH führte der vom Kläger aus der Veräußerung der „Gold Bullion Securities“ Inhaberschuldverschreibungen erzielte Gewinn nicht zu steuerbaren Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 EStG, da die Schuldverschreibungen nicht als sonstige Kapitalforderungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu qualifizieren sind. Unter den Begriff der Kapitalforderungen fallen keine Ansprüche auf Sachleistung. Danach sind die „Gold Bullion Securities“ keine sonstigen Kapitalforderungen, da sie keinen Anspruch auf Geld, sondern auf eine Sachleistung in Form des hinterlegten Goldes verkörpern. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung gilt dies auch dann, wenn nach den Emissionsbedingungen statt der Lieferung des verbrieften Goldes die Auszahlung des Erlöses aus dem Verkauf des hinterlegten Goldes verlangt werden kann. Grund hierfür ist, dass auch in diesem Fall primär eine Sachleistung geschuldet wird, so dass der Gewinn nur zu versteuern ist, wenn zwischen Anschaffung und Veräußerung der Schuldverschreibung die Jahresfrist nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG überschritten wird.

Anwendung des Abgeltungsteuersatzes bei der Darlehensgewährung an eine GmbH durch eine dem Anteilseigner nahe stehende Person
§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. a EStG ist kein Auffangtatbestand für den Ausschluss von Kapitalerträgen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG aus dem gesonderten Tarif (§ 32d Abs. 1 EStG), wenn die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes gem. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. b EStG nicht erfüllt sind.

BFH v. 16.06.2020, VIII R 5/17

Hinweis:
Gem. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. b S. 1 EStG gilt der gesonderte Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG nicht, wenn die Kapitalerträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG von einer Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft oder Genossenschaft beteiligt ist. Nach Satz 2 des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. b EStG ist die Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Kapitaleinkünfte gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG auch dann ausgeschlossen, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge eine dem Anteilseigener nahe stehende Person ist.

Die verheirateten Kläger werden für das Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin war alleinige Gesellschafterin der S-GmbH, der Kläger war alleiniger Geschäftsführer dieser Gesellschaft. Zwischen dem Kläger und der S-GmbH wurden verschiedene Darlehensverträge abgeschlossen, die jeweils vom Kläger als Darlehensgeber und als Geschäftsführer der S-GmbH unterschrieben wurden. Die Darlehen wurden mit 7,8% bzw. 5,646% jährlich verzinst. Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr berücksichtigte das FA die Zinseinkünfte des Klägers als gem. § 32a EStG tariflich zu besteuernde Einkünfte aus Kapitalvermögen. Hierbei stützte sich das FA auf die Regelung in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. b S. 2 EStG. Der Kläger als Darlehensgeber stehe der Klägerin als Anteilseignerin der S‑GmbH nahe. Das FG sah die Regelung in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. b S. 2 EStG als nicht erfüllt an. Der Kläger sei keine der Klägerin als Anteilseignerin der S GmbH nahe stehende Person im Sinne der Vorschrift. Das FG gelangte jedoch zu dem Ergebnis, dass der Kläger eine der S GmbH nahe stehende Person i. S. d. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. a EStG sei.

Der BFH hat entschieden, dass § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. a EStG kein Auffangtatbestand für den Ausschluss von Kapitalerträgen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG aus dem Abgeltungsteuertarif ist, wenn die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes gem. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. b EStG nicht erfüllt sind.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die dem Kläger im Streitjahr zugeflossenen Zinsen Kapitalerträge gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und kein Arbeitslohn sind. In den Zinszahlungen ist auch keine vGA der S GmbH an die Klägerin zu sehen. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer hätte die mit dem Kläger abgeschlossenen Darlehensverträge unter diesen Umständen auch mit einem Nichtgesellschafter abgeschlossen. Zudem beruhten die Zinszahlungen auf klaren, im Voraus getroffenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Darlehensverträgen der S GmbH mit dem Kläger. Ein Ausschluss der vom Kläger erzielten Zinseinkünfte i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG aus dem gesonderten Tarif (§ 32d Abs. 1 EStG) kann im Streitfall weder auf § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. b S. 2 EStG noch – wie vom FG zu Unrecht angenommen – auf § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. a EStG gestützt werden. Der Tatbestand des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. b S. 2 EStG ist ein speziell für Vergütungen, die u. a. von einer Kapitalgesellschaft (hier: der S GmbH) an einen Anteilseigner oder an eine diesem nahe stehende Person gezahlt werden, geschaffener Ausschlusstatbestand. Er ist abschließend. Sind die Voraussetzungen der Regelung nicht erfüllt, kommt ein Rückgriff auf den Ausschlusstatbestand gem. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Bst. a EStG weder für Vergütungen aus einem Darlehen des Anteilseigners noch einer nahe stehenden Person an die Kapitalgesellschaft in Betracht.

Erstmaliger Eintritt der Voraussetzungen für einen erfolgreichen Antrag auf Günstigerprüfung nach Eintritt der Bestandskraft
Die Festsetzung der Steuer in einem Änderungsbescheid nach Eintritt der Bestandskraft, die aufgrund der im Änderungsbescheid berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen erstmals eine erfolgreiche Antragstellung gem. § 32d Abs. 6 EStG ermöglicht, ist ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, das einen korrekturbedürftigen Zustand auslöst.

BFH v. 14.07.2020, VIII R 6/17

Hinweis:
Auf Antrag des Steuerpflichtigen werden anstelle der Anwendung der Absätze 1, 3 und 4 die nach § 20 ermittelten Kapitaleinkünfte den Einkünften im Sinne des § 2 hinzugerechnet und der tariflichen Einkommensteuer unterworfen, wenn dies zu einer niedrigeren Einkommensteuer einschließlich Zuschlagsteuern führt (Günstigerprüfung, § 32d Abs. 6 EStG).

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten die Kläger in ihren Anlagen KAP jeweils eine Überprüfung des Steuereinbehalts für sämtliche Kapitaleinkünfte gemäß § 32d Abs. 4 EStG. Die Kläger stellten in der Einkommensteuererklärung keinen Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG. Hierzu bestand aufgrund der Höhe der Einkünfte des Klägers kein Anlass, da eine Hinzurechnung der Kapitalerträge der Kläger zu den übrigen Einkünften nicht zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung geführt hätte. Nachdem eine geänderte Mitteilung des Betriebstätten-FA ergangen war, wurden die gewerblichen Einkünfte auf null gesetzt und der Bescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert. Gegen den Änderungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein und beantragte die Günstigerprüfung für die Kapitalerträge. Das FA lehnte den Einspruch ab, da kein Änderungsrahmen gem. § 351 Abs. 1 AO gegeben sei.

Der BFH hat entschieden, dass die Festsetzung der Steuer in einem Änderungsbescheid nach Eintritt der Bestandskraft, die aufgrund der im Änderungsbescheid berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen erstmals eine erfolgreiche Antragstellung gem. § 32d Abs. 6 EStG ermöglicht, ein rückwirkendes Ereignis gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG darstellt.

Das FG hat zutreffend bejaht, dass die Kläger im Einspruchsverfahren einen Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG erstmals erfolgreich stellen konnten und die Voraussetzungen für eine Änderung des geänderten Einkommensteuerbescheids zugunsten der Kläger gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i. V. m. § 351 Abs. 1 Hs. 2 AO erfüllt waren.

Beim Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG handelt es sich zwar um ein unbefristetes Wahlrecht, die von den Klägern begehrte Herabsetzung der festzusetzenden Steuer setzt neben der Antragstellung aber gem. § 351 Abs. 1 Hs. 2 AO zusätzlich voraus, dass sich die Kläger auf eine verfahrensrechtliche Korrekturvorschrift stützen können, die die Bestandskraft der Steuerfestsetzung zu ihren Gunsten durchbricht. Die Voraussetzungen für eine Änderung des Bescheids zugunsten der Kläger gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO liegen vor. Das FG hat § 32d Abs. 6 EStG zutreffend als zeitlich unbefristetes Wahlrecht eingeordnet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO ist, das einen korrekturbedürftigen Zustand im Hinblick auf die bestandskräftig festgesetzte Steuer ausgelöst hat.
 

Neueste Einträge