Rechtsprechung KW 12-2020

1.Rechtsprechung

1.1.Umsatzsteuer

Ermittlung abziehbarer Vorsteuer
Eine Schätzung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuer unter Verwendung eines selektiven Personalschlüssels ist nicht als sachgerechte Schätzung anzusehen; es besteht daher kein Vorrang gegenüber einer Schätzung anhand des Verhältnisses der gesamten steuerfreien zu den steuerpflichtigen Umsätzen.
BFH v. 23.10.2019, XI R 18/17
Hinweis:
Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, ist gem. § 15 Abs. 4 S. 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UStG). Gem. § 15 Abs. 4 S. 3 UStG ist eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist.
Die Klägerin ist ein Kreditinstitut. Im Jahr 2007 teilte sie dem FA mit, dass sie beabsichtige, ab dem 01.01.2008 umsatzsteuerliche Bankleistungen nach § 9 UStG als umsatzsteuerpflichtig zu behandeln. Die Quote für die teilweise in Anspruch zu nehmende Vorsteuer würde dabei nach der sog. Philipowski-Methode ermittelt. Das FA stimmte der Verfahrensweise zu. Nach Durchführung einer Außenprüfung setzte das FA die Umsatzsteuer für 2008 und 2009 abweichend von den erklärten Beträgen fest. Streitig ist die Höhe der abziehbaren Vorsteuern auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Zurechnung von Teilbeträgen, wenn auch Umsätze ausgeführt werden, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 15 Abs. 4 UStG).
Der BFH hat entschieden, dass eine Schätzung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuer unter Verwendung eines selektiven Personalschlüssels nicht als sachgerechte Schätzung anzusehen ist.
Gegen die von der Klägerin angewandte Philipowski-Methode als präzisere Berechnungsmethode gegenüber der Berechnung anhand des gesamten Umsatzschlüssels spricht von vornherein die Anwendung eines selektiven Personalschlüssels. Bei dieser "Personalbedarfsrechnung" blieb ein Großteil der Mitarbeiter der Klägerin unberücksichtigt.
 

1.2.Einkommensteuer

Krankheitskosten bei einem Wegeunfall zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte
Aufwendungen in Zusammenhang mit der Beseitigung oder Linderung von Körperschäden, die durch einen Unfall auf einer beruflich veranlassten Fahrt zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte eingetreten sind, können gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG als Werbungskosten abgezogen werden. Sie werden von der Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale nicht erfasst. Diese erstreckt sich nur auf fahrzeug- und wegstreckenbezogene Aufwendungen.
BFH v. 19.12.2019, VI R 8/18
Hinweis:
Nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung sind Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 4 EStG. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist nach Satz 2 der Vorschrift für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen, höchstens jedoch 4.500 EUR im Kalenderjahr; ein höherer Betrag als 4.500 EUR ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt.
Im Streitfall erlitt die Klägerin durch einen Verkehrsunfall auf dem Weg von ihrer ersten Tätigkeitsstätte nach Hause erhebliche Verletzungen. Sie machte die hierdurch verursachten Krankheitskosten, soweit sie nicht von der Berufsgenossenschaft übernommen wurden, als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Finanzamt und Finanzgericht ließen den Werbungskostenabzug nicht zu.
Der BFH hat entschieden, dass durch einen Unfall verursachte Krankheitskosten als Werbungskosten abziehbar sind, wenn ein Steuerpflichtiger auf dem Weg zwischen Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte einen Unfall erleidet.
Der BFH erkannte die unfallbedingten Krankheitskosten als Werbungskosten an. Zwar sind durch die Entfernungspauschale grundsätzlich sämtliche fahrzeug- und wegstreckenbezogene Aufwendungen abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte veranlasst sind. Dies gilt auch für Unfallkosten, soweit es sich um echte Wegekosten handelt (z.B. Reparaturaufwendungen). Andere Aufwendungen, insbesondere Aufwendungen in Zusammenhang mit der Beseitigung oder Linderung von Körperschäden, die durch einen Wegeunfall zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte eingetreten sind, werden von der Abgeltungswirkung dagegen nicht erfasst. Solche beruflich veranlassten Krankheitskosten können daher neben der Entfernungspauschale als Werbungskosten abgezogen werden.
Andere Aufwendungen, insbesondere Aufwendungen in Zusammenhang mit der Beseitigung oder Linderung von Körperschäden, die durch einen Wegeunfall zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte eingetreten sind, werden von der Abgeltungswirkung dagegen nicht erfasst. Solche beruflich veranlassten Krankheitskosten können daher neben der Entfernungspauschale als Werbungskosten abgezogen werden.

"Zwischenvermietung" für die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3  2. Alternative EStG unschädlich - Die Entscheidung wurde nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; sie war seit dem 07.11.2019 als NV-Entscheidung abrufbar
Wird eine Wohnimmobilie im Jahr der Veräußerung kurzzeitig vermietet, ist dies für die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3  2. Alternative EStG unschädlich, wenn der Steuerpflichtige das Immobilienobjekt – zusammenhängend - im Veräußerungsjahr zumindest an einem Tag, im Vorjahr durchgehend sowie im zweiten Jahr vor der Veräußerung zumindest einen Tag lang zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat.
BFH v. 03.09.2019, IX R 10/19
Hinweis:
Nach § 22 Nr. 2 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 EStG) auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. d. § 23 EStG. Dazu gehören gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG u. a. Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Ausgenommen sind gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden.
Im Streitfall hatte der Kläger 2006 eine Eigentumswohnung erworben, die er bis zu seinem Auszug im April 2014 durchgehend zu eigenen Wohnzwecken nutzte und im Dezember 2014 verkaufte. Von Mai 2014 bis zur Veräußerung im Dezember 2014 vermietete er die Wohnung. Das Finanzamt ermittelte aus der Veräußerung einen steuerpflichtigen Gewinn i. S. d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG.
Verkauft der Steuerpflichtige eine Immobilie, die er vor weniger als zehn Jahren entgeltlich erworben und seitdem zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat, muss er den Veräußerungsgewinn auch dann nicht versteuern, wenn er die Wohnung im Jahr der Veräußerung kurzzeitig vermietet hatte.
Der BFH gab dem Kläger Recht. Ein steuerbares Veräußerungsgeschäft liege nicht vor. Da der Kläger die Wohnung in den Jahren 2012 und 2013 sowie im Zeitraum von Januar bis einschließlich April 2014 durchgehend zu eigenen Wohnzwecken genutzt habe, seien die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG erfüllt. Die "Zwischenvermietung" von Mai 2014 bis Dezember 2014 sei unschädlich. Zu den einkommensteuerbaren sonstigen Einkünften zählen u. a. solche aus der Veräußerung von Wohnimmobilien, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt (§§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG). Von der Besteuerung ausgenommen sind nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG Wohnungen, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung entweder ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden. Die Steuerfreiheit tritt daher u. a. schon dann ein, wenn – wie in der 2. Alternative – vor der Veräußerung eine zusammenhängende Nutzung zu eigenen Wohnzwecken von einem Jahr und zwei Tagen liegt; dabei muss sich die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auf das gesamte mittlere Kalenderjahr erstrecken, während die Wohnnutzung im zweiten Jahr vor der Veräußerung und im Veräußerungsjahr nur jeweils einen Tag zu umfassen braucht.

Eine tatsächlich nicht erbrachte Überführungsleistung führt nicht zu einem nach § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG zu bewertenden Vorteil
Der Endpreis i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG stellt auf den Endpreis für die konkret zu bewertende Leistung ab. Werden mehrere Leistungen zugewandt, ist für jede Leistung gesondert eine Verbilligung und ein damit einhergehender Vorteil zu ermitteln.
Wird dem Arbeitnehmer - anders als einem fremden Endkunden - tatsächlich keine Überführungsleistung (hier eines Fahrzeugs) erbracht, scheidet insoweit die Annahme eines nach § 8 Abs. 3 S. 1 EStG zu bewertenden geldwerten Vorteils aus.
BFH v. 16.01.2020, VI R 31/17
Hinweis:
Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden und deren Bezug nicht nach § 40 EStG pauschal versteuert wird, so gelten nach § 8 Abs. 3 S. 1 EStG als deren Werte abweichend von § 8 Abs. 2 EStG die um 4 % geminderten Endpreise, zu denen der Arbeitgeber oder der dem Abgabeort nächstansässige Abnehmer die Waren oder Dienstleistungen fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr anbietet. Die sich nach Abzug der vom Arbeitnehmer gezahlten Entgelte ergebenden Vorteile sind steuerfrei, soweit sie aus dem Dienstverhältnis insgesamt 1.080 EUR im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 S. 2 EStG).
Die Klägerin ermöglicht ihren Arbeitnehmern den Erwerb von ihr produzierter Fahrzeuge zu vergünstigten Konditionen. Die Auslieferung der Fahrzeuge weicht in diesen Fällen von der Auslieferung gegenüber fremden Endkunden ab. Die fremden Endkunden können zwischen verschiedenen Auslieferungsmöglichkeiten wählen, bei jeder Variante werden Überführungskosten berechnet.
An Mitarbeiter der Klägerin erfolgt die Auslieferung abhängig vom inländischen Beschäftigungsort am Werksstandort (Gruppe 1), am Versandzentrum Z (Gruppe 2) oder wahlweise am Versandzentrum Z (Gruppe 3a) oder an der Niederlassung der Klägerin (Gruppe 3b). (Vergünstigte) Überführungskosten berechnet die Klägerin ihren Mitarbeitern nur im Falle der Auslieferung in einer Niederlassung außerhalb Z (Gruppe 3b); der sich hieraus ergebende geldwerte Vorteil ist zwischen den Beteiligten unstreitig. In den Fällen der Auslieferung an Mitarbeiter (Gruppen 1, 2, 3a) berechnet die Klägerin keine Überführungskosten und versteuert dementsprechend auch keinen geldwerten Vorteil. Das FA erließ einen Haftungsbescheid, weil es davon ausging, dass auch für die Gruppen 1, 2 und 3a geldwerte Vorteile für Überführungskosten zu ermitteln sein.
Der BFH hat entschieden, dass die Annahme eines  nach § 8 Abs. 3 S. 1 EStG zu bewertenden geldwerten Vorteils ausscheidet, wenn dem Arbeitnehmer – anders als einem fremden Endkunden – tatsächlich keine Überführungsleistung erbracht wird.
Die Mitarbeiter der vorliegend allein streitigen Gruppen 1, 2 und 3a haben durch die Auslieferung der von ihnen verbilligt erworbenen und von der Klägerin, ihrer Arbeitgeberin, produzierten Fahrzeuge an den jeweiligen Werksstandorten in Deutschland (Gruppe 1) oder am Versandzentrum Z (Gruppen 2 und 3a) keinen zusätzlichen geldwerten Vorteil i. S. einer "Überführung" erlangt. Die Überführung eines Fahrzeugs von einem Versandzentrum zu einer Niederlassung ist damit eine zusätzliche Leistung der Klägerin an ihre Mitarbeiter, deren Kosten nicht den Warenwert des zugewendeten Wirtschaftsguts (Fahrzeug) erhöht und damit auch nicht zum Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 3 S. 1 EStG zählt, sondern die vielmehr ggf. einen gesonderten Sachbezug begründet. Diese Fälle waren hier allerdings nicht streitig. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, dass ein fremder Endkunde sich der Überführung und damit den durch diese ausgelösten Kosten nicht entziehen kann. Denn dies ändert nichts daran, dass die fremden Endkunden mit den Überführungskosten eine zusätzliche Leistung entgelten. Da in den hier streitigen Fällen solche Überführungen gerade nicht stattgefunden haben, ist den Mitarbeitern aufgrund ihres Arbeitsverhältnisses insoweit auch kein Vorteil zugeflossen, der nach § 8 Abs. 3 S. 1 EStG zu bewerten wäre.

Absetzung für Abnutzung; kein längerer Zeitraum als von § 7 Abs. 4 EStG vorgesehen
Die Rechtsfrage, ob § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG analog auf die Fälle, in denen die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes die gesetzliche Nutzungsdauer von 33 Jahren (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG) übersteigt, anzuwenden ist, ist zu verneinen.
§ 7 Abs. 4 EStG ist verfassungsgemäß.
BFH v. 28.05.2019, XI B 2/19
Hinweis:
Beträgt die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 weniger als 33 Jahre, in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 Buchstabe a weniger als 50 Jahre, in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 Buchstabe b weniger als 40 Jahre, so können anstelle der Absetzungen nach Satz 1 die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechenden Absetzungen für Abnutzung vorgenommen werden (§ 7 Abs. 4 S. 2 EStG).
Nach der Gründung erwarb die Klägerin ein Grundstück, welches in der Folgezeit mit einer Reitanlage (Reithalle, Lagerhalle, Maschinenhalle und Pferdeboxen) bebaut wurde. Die Fertigstellung erfolgte im Mai 2011. Die Klägerin berücksichtigte in ihren Steuererklärungen eine Absetzung für Abnutzung (AfA) für das Gebäude seit 2011 mit jährlich 1,25 % der Herstellungskosten. Die Veranlagungen erfolgten erklärungsgemäß. Im Rahmen einer Außenprüfung für die Jahre 2013 bis 2015 vertrat der Prüfer die Auffassung, dass das Gebäude zwingend nach § 7 Abs. 4 Nr. 1 EStG mit jährlich 3 % abzuschreiben sei.
Der BFH hat entschieden, dass § 7 Abs. 4 S. 2 EStG in Fällen, in denen die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes die gesetzliche Nutzungsdauer übersteigt, nicht analog anzuwenden ist.
Die in § 7 Abs. 4 S. 1 EStG genannten Abschreibungssätze beruhen auf fiktiven Nutzungsdauern. Die tatsächliche Nutzungsdauer von Gebäuden wird gewöhnlich länger sein; davon geht auch der Gesetzgeber aus. Die fiktiven Sätze zur AfA dienen u. a. der Gesetzesvereinfachung. Dem Gesetzgeber ist es erlaubt, Sachverhalte, an die er dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpft, zu typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falls zu vernachlässigen. Der Gesetzgeber darf aber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, vielmehr muss er sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren.

Zur Berücksichtigung von Verlusten aus sog. Vollrisikozertifikaten
Nach dem 30.06.2009 realisierte Verluste aus der Veräußerung von sog. Vollrisikozertifikaten, die nach dem 14.03.2007 angeschafft wurden, unterfallen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4, Abs. 6 EStG i. d. F. des Streitjahres.
BFH v. 29.10.2019, VIII R 16/16
Hinweis:
Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n. F. ist der Gewinn aus der Veräußerung einer unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. fallenden sonstigen Kapitalforderung steuerbar. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4 u. Abs. 6 EStG n. F. auch ein negativer Gewinn - ein Veräußerungsverlust – erfasst.
Der Kläger wurden im Streitjahr 2012 auf Antrag zur Einkommensteuer veranlagt. In seiner Einkommensteuererklärung erklärte der Kläger neben Kapitalerträgen auch einen Verlust in Höhe aus der Veräußerung von Zertifikaten, deren Emittent die Bank X war. Die Zertifikate hatte der Kläger am 02.11.2007 bzw. am 02.01.2008 für insgesamt 51.000 € von der A-Bank erworben. Das FA berücksichtigte den erklärten Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate nicht. Die aufgrund des Vergleiches erfolgte Zahlung der B-Bank unterwarf das FA jedoch der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 3 EStG n. F.
Der BFH hat entschieden, dass nach dem 30.06.2009 realisierte Verluste aus der Veräußerung von Vollrisikozertifikaten, die nach dem 14.03.2017 angeschafft wurden, § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, Abs. 4, Abs. 6 EStG unterfallen.
Bei den Zertifikaten handelt es sich um Vollrisikozertifikate und damit um Kapitalforderungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n. F. Denn bei ihnen war sowohl die Rückzahlung des Kapitalvermögens als auch die Ertragserzielung unsicher. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 EStG ist anwendbar, obwohl der Kläger die Zertifikate bereits im November 2007 bzw. Januar 2008 erworben hat. Dies folgt aus § 52 Abs. 28 S. 17 EStG. Im Ergebnis hat der Kläger einen Veräußerungsverlust gemäß § 20 Abs. 2, Abs. 4 EStG n. F. erzielt. Denn Gewinn i. S. d. § 20 Abs. 4 EStG n.F. ist der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten (§ 20 Abs. 4 S. 1 EStG n.F.). Erfasst ist auch ein negativer Gewinn - ein Veräußerungsverlust - und zwar selbst dann, wenn dieser von außerhalb des Kapitalmarktes liegenden Gründen (z. B. der Insolvenz des Emittenten eines Zertifikates) beeinflusst wird.
 
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