Rechtsprechung KW 22-2019

1.Rechtsprechung

1.1.Verfahrensrecht

Zuständigkeit für den Erlass eines Abrechnungsbescheids - Säumniszuschläge
Zuständig für den Erlass eines Abrechnungsbescheids ist die nach den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen der §§ 16 ff. AO zuständige Finanzbehörde. An seiner mit Urteil v. 12.07.2011, VII R 69/10, BFHE 234, 114 vertretenen Auffassung, dass für Entscheidungen durch Abrechnungsbescheid diejenige Behörde zuständig ist, die den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis festgesetzt hat, um dessen Verwirklichung gestritten wird, hält der erkennende Senat nicht mehr fest.
BFH v. 19.03.2019, VII R 27/17
Hinweis:
Gem. § 218 Abs. 2 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, durch Abrechnungsbescheid.
Zunächst setzte das damals noch zuständige FA1 gegen den Kläger Einkommensteuer fest. In der Folge erließ das FA1 diverse Änderungsbescheide. Auf Antrag des Klägers erließ das FA1 einen Abrechnungsbescheid, mit dem es die streitigen Säumniszuschläge dem Grunde und der Höhe nach bestätigte. Den Einspruch des Klägers wies das zwischenzeitlich zuständig gewordene FA als unbegründet zurück. Hiergegen machte der Kläger geltend, dass das FA für den Erlass des Abrechnungsbescheids bzw. der Einspruchsentscheidung nicht zuständig gewesen sei; denn zuständig sei nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats diejenige Finanzbehörde, die den streitigen Anspruch festgesetzt habe, also im vorliegenden Streitfall das FA 1.
Der BFH hat entschieden, dass bei Wechsel der örtlichen Zuständigkeit für die Besteuerung, wie etwa bei einem Wohnsitzwechsel oder einer Betriebsverlegung, dies auch beim Erlass eines Abrechnungsbescheids zu beachten ist.
Nach nunmehr geänderter BFH-Rechtsprechung gilt der sog. Grundsatz der Gesamtzuständigkeit auch in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit für Steuern vom Einkommen und vom Vermögen natürlicher Personen (§ 19 AO) Das jeweils zuständige Finanzamt ist nicht nur für die eigentliche Besteuerung (§§ 134 ff. AO), sondern darüber hinaus auch für die Erhebung (§§ 218 ff. AO) und Vollstreckung (§§ 249 ff. AO) der betreffenden Steuern und gegebenenfalls auch für die Entscheidung über einen Einspruch (§ 367 Abs. 1 S. 2 AO) zuständig – und zwar auch dann, wenn sich der Streit auf Jahre bezieht, die vor dem Zuständigkeitswechsel liegen.

1.2.Einkommensteuer

Doppelte Haushaltsführung - Vorfälligkeitsentschädigung im Zusammenhang mit dem Verkauf der Zweitwohnung
Wird die Wohnung am Beschäftigungsort anlässlich der Beendigung einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung veräußert, ist eine dabei anfallende Vorfälligkeitsentschädigung nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.
BFH v. 03.04.2019, VI R 15/17
Hinweis:
Gem. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten.
Die Kläger unterhielten in K einen gemeinsamen Hausstand. Der Kläger war bis Ende 2011 in B nichtselbständig beschäftigt. Auf Grund seiner beruflichen Tätigkeit wohnte er an seinem Beschäftigungsort in einer Eigentumswohnung mit einer Wohnfläche von 85 qm. Zur Finanzierung der Anschaffungskosten der Eigentumswohnung hatten die Kläger zwei Darlehen bei der Sparkasse aufgenommen. Wegen der vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens im Zusammenhang mit der Veräußerung der Eigentumswohnung verlangte die Bank eine Vorfälligkeitsentschädigung. Streitig ist, ob eine Vorfälligkeitsentschädigung, die im Zusammenhang mit der Veräußerung einer beruflich genutzten Wohnung am Beschäftigungsort angefallen ist, zu Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit führt.
Der BFH hat entschieden, dass die Vorfälligkeitsentschädigung nicht bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen ist.
Aufwendungen entstehen wegen einer doppelten Haushaltsführung, wenn sie durch diese veranlasst sind, d. h. hiermit in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zurechnungszusammenhang stehen. Maßgebend dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments, zum anderen die Zuweisung dieses maßgebenden Besteuerungsgrunds zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre. Der Begriff der Schuldzinsen umfasst auch eine zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung. Denn die Vorfälligkeitsentschädigung ist ein Nutzungsentgelt für das auf die verkürzte Laufzeit in Anspruch genommene Fremdkapital. Der Veranlassungszusammenhang eines Darlehens, das zur Finanzierung der Anschaffungskosten einer am Beschäftigungsort genutzten Wohnung aufgenommen worden ist, kann allerdings durch spätere Ereignisse überlagert oder ersetzt werden. So hat der BFH den Werbungskostenabzug einer Vorfälligkeitsentschädigung, die auf Grund der vorzeitigen Ablösung eines Darlehens anlässlich des Verkaufs einer bis dahin vermieteten Immobilie zu leisten war, abgelehnt. Dem stand nicht entgegen, dass das Darlehen zunächst zur Finanzierung der vermieteten Immobilie aufgenommen worden ist und die dafür geleisteten Schuldzinsen während der Zeit der Vermietung im Zusammenhang mit der steuerbaren Vermietungstätigkeit standen. Denn durch die Veräußerung wurde der ursprünglich bestehende wirtschaftliche Zusammenhang der Darlehensaufnahme mit der Vermietungstätigkeit überlagert bzw. ersetzt. Entsprechendes gilt, wenn die Wohnung nicht als Einkunftsquelle im Rahmen des § 21 EStG zur Erzielung von Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung, sondern im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung „beruflich“ genutzt wurde. Auch hier wird durch die Beendigung der doppelten Haushaltsführung und die Veräußerung der Wohnung der ursprünglich in der „beruflichen“ Nutzung der Immobilie wurzelnde Veranlassungszusammenhang mit den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aufgelöst und ein neuer, regelmäßig nicht steuerbarer Veranlassungszusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft begründet.

Steuerermäßigung nach § 35a EStG wegen Unterbringung eines Elternteils in einem Pflegeheim
Die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 S. 2 Hs. 2 EStG kann nur von dem Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden, dem Aufwendungen wegen seiner eigenen Unterbringung in einem Heim oder zu seiner eigenen dauernden Pflege erwachsen.
BFH v. 03.04.2019, VI R 19/17
Hinweis:
Nach § 35a Abs. 2 S. 1 EStG ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse oder für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen auf Antrag um 20 %, höchstens 4.000 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Dies gilt auch für die Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen sowie für Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen wegen der Unterbringung in einem Heim oder zur dauernden Pflege erwachsen, soweit darin Kosten für Dienstleistungen enthalten sind, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind (§ 35a Abs. 2 S. 2 EStG).
Im Streitfall hatte der Kläger die Aufwendungen seiner Mutter für deren Aufenthalt in einem Seniorenheim übernommen. Er machte diese Kosten, soweit sie auf Pflege und Verpflegung seiner Mutter entfielen, gem. § 35a EStG steuermindernd geltend.
Der BFH hat entschieden, dass die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 S. 2 Hs. 2 EStG nur von dem Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden kann, dem Aufwendungen wegen seiner eigenen Unterbringung in einem Heim oder zu seiner eigenen dauernden Pflege erwachsen.
Ein Abzug der geltend gemachten Aufwendungen gem. § 35a Abs. 2 S. 2 Hs. 2 EStG kam nicht in Betracht, weil es sich nicht um Kosten handelte, die dem Kläger wegen seiner eigenen Unterbringung in einem Heim oder zu seiner eigenen Pflege erwachsen sind. Für Aufwendungen, die die Unterbringung oder Pflege einer anderen Personen betreffen, scheidet die Steuerermäßigung dagegen aus. Über den Abzug der Aufwendungen bei der Mutter des Klägers musste der BFH im Streitfall nicht entscheiden.

1.3.Sonstiges

Grunderwerbsteuerrechtliche Anzeigepflicht bei einer steuerbegünstigten Grundstückseinbringung in eine Gesamthand
Bei einer steuerbegünstigten Einbringung eines Grundstücks in eine Gesamthand ist die Verminderung der Beteiligung eines grundstückseinbringenden Gesellschafters am Vermögen der Gesamthand nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG anzuzeigen, selbst wenn sich dadurch der personelle Gesellschafterbestand der Gesamthand nicht ändert.
BFH v. 15.01.2019, II R 39/16
Hinweis:
Geht ein Grundstück von mehreren Miteigentümern auf eine Gesamthand (Gemeinschaft zur gesamten Hand) über, so wird nach § 5 Abs. 1 GrEStG die Steuer nicht erhoben, soweit der Anteil des einzelnen am Vermögen der Gesamthand Beteiligten seinem Bruchteil am Grundstück entspricht. § 5 Abs. 1 GrEStG ist insoweit nicht anzuwenden, als sich der Anteil des Veräußerers am Vermögen der Gesamthand innerhalb von fünf Jahren nach dem Übergang des Grundstücks auf die Gesamthand vermindert (§ 5 Abs. 3 GrEStG). Nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG haben Steuerschuldner Anzeige zu erstatten über Änderungen im Gesellschafterbestand einer Gesamthand bei Gewährung der Steuervergünstigung nach § 5 Abs. 1 und 2 GrEStG oder § 6 Abs. 3 i. V. m. § 6 Abs. 1 GrEStG. Die Anzeigepflichtigen haben u.a. innerhalb von zwei Wochen, nachdem sie von dem anzeigepflichtigen Vorgang Kenntnis erhalten haben, den Vorgang anzuzeigen (§ 19 Abs. 3 GrEStG).
R und Z brachten ihre Miteigentumsanteile an einem Grundstück in die Klägerin – eine GbR – ein. An der Klägerin waren R zu 96% und Z zu 4% beteiligt. Kurz darauf vereinbarten R und Z privatschriftlich, dass R die Anteile auf Z überträgt. Das FA stellte zunächst den Erwerb durch die GbR aufgrund von § 5 Abs. 1 GrEStG steuerfrei. Sodann setzte das FA Grunderwerbsteuer fest, da sich die Beteiligung innerhalb der schädlichen Frist von fünf Jahren verringert habe. Die Klägerin machte geltend, dass die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist abgelaufen gewesen sei und eine Pflicht zur Anzeige nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG nicht bestanden habe.
Der BFH hat entschieden, dass eine Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG auch dann besteht, wenn sich der personelle Gesellschafterbestand der Gesamthand nicht ändert.
Das FA konnte für den Einbringungsvorgang nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO Grunderwerbsteuer festsetzen. Im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Bescheids war die vierjährige Festsetzungsfrist i. S. d. § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO noch nicht abgelaufen. Die Festsetzungsfrist begann wegen der verspäteten Anzeige der Verminderung der Beteiligung aufgrund der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO i. V. m. § 19 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 5 GrEStG erst drei Jahre nach der Steuerentstehung zu laufen. Eine Anzeige nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG ist gem. § 19 Abs. 5 S. 1 GrEStG eine Steuererklärung i. S. d. AO. Die Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG umfasst auch die Verringerung der vermögensmäßigen Beteiligung eines grundstückseinbringenden Gesellschafters am Vermögen einer Gesamthand, selbst wenn sich dadurch der personelle Gesellschafterbestand der Gesamthand nicht ändert. Eine Anzeigepflicht besteht jedoch auch, wenn sich die Beteiligung eines grundstückseinbringenden Gesellschafters am Vermögen der Gesamthand nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG vermindert, ohne dass sich dadurch der personelle Gesellschafterbestand der Gesamthand ändert. Dies betrifft also Fälle, in denen kein neuer Gesellschafter beitritt, sondern sich lediglich die Beteiligungsverhältnisse der bisherigen Gesellschafter am Vermögen der Gesamthand verschieben und sich dadurch die Beteiligung des grundstückseinbringenden Gesellschafters verringert. Denn auch eine solche Verminderung der Beteiligung des grundstückseinbringenden Gesellschafters führt, wenn sie innerhalb der maßgeblichen Frist von fünf Jahren erfolgt, zu einem anteilsmäßig entsprechenden rückwirkenden Wegfall der Steuervergünstigung.

2.Verwaltungsanweisungen

2.1.Umsatzsteuer

Beurteilung von platzierungsabhängigen Preisgeldern
Das BMF hat den UStAE zur Beurteilung von platzierungsabhängigen Preisgeldern geändert.
BMF v. 27.05.2019
Hinweis:
Mit Urteil v. 30.08.2017, XI R 37/17 hat der BFH zur Unternehmereigenschaft und Steuerbarkeit der Leistungen eines „Berufspokerspielers“ entschieden.
Ein „Berufspokerspieler“ erbringt keine Leistung im Rahmen eines Leistungsaustausches gegen Entgelt, wenn er an Spielen fremder Veranstalter teilnimmt und ausschließlich im Falle der erfolgreichen Teilnahme Preisgelder oder Spielgewinne erhält. Zwischen der (bloßen) Teilnahme am Pokerspiel und dem im Erfolgsfall erhaltenen Preisgeld oder Gewinn fehlt der für einen Leistungsaustausch erforderliche unmittelbare Zusammenhang.
Die Teilnahme an einem Pokerspiel ist jedoch eine im Rahmen eines Leistungsaustausches gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung, wenn der Veranstalter für sie eine von der Platzierung unabhängige Vergütung zahlt. In einem solchen Fall ist die vom Veranstalter geleistete Zahlung die tatsächliche Gegenleistung für die vom Spieler erbrachte Dienstleistung, an dem Pokerspiel teilzunehmen.
Das BMF folgt der BFH-Rechtsprechung. Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Es wird jedoch auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs nicht beanstandet, wenn die Beteiligten bei der Zahlung platzierungsabhängiger Preisgelder für die Teilnahme an einem vor dem 01.07.2019 stattfindenden Wettbewerb bzw. einer vor dem 01.07.2019 durchgeführten Tierleistungsprüfung einvernehmlich von einem steuerpflichtigen Entgelt ausgehen.
 
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