Rechtsprechung KW 09-2017

1. Verfahrensrecht

Erlass eines inhaltsgleichen Änderungsbescheids nach einvernehmlicher Beendigung des Finanzrechtsstreits in der mündlichen Verhandlung


Hebt das FA aufgrund einer mit dem Steuerpflichtigen getroffenen Verständigung über die einvernehmliche Beendigung des Finanzrechtsstreits einen Steuerbescheid in der mündlichen Verhandlung vor dem FG auf und erklärt den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, ist es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Verbot des „venire contra factum proprium“) daran gehindert, erneut einen inhaltsgleichen Steuerbescheid zu erlassen, wenn der Steuerpflichtige in Einhaltung dieser Absprache über einen verfahrensrechtlichen Besitzstand disponiert hat. Letzteres ist der Fall, wenn er seinen Einspruch zurückgenommen und ebenfalls die Hauptsache für erledigt erklärt hat (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung, s. Urteil vom 29. Oktober 1987 X R 1/80, BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121).

BFH  v. 06.07.2016, X R 57/13

Der Grundsatz von Treu und Glauben ist im Steuerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz uneingeschränkt anerkannt. Er gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder Beteiligte auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich zu seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt.

Im Urteilsfall hatte sich das FA mit der Klägerin in einer einen Feststellungsbescheid (Steuerbescheid) betreffenden Finanzstreitsache nach einem entsprechenden Hinweis des FG zunächst dahingehend verständigt, den im Streit stehenden Änderungsbescheid noch während der mündlichen Verhandlung aufzuheben und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Im Gegenzug nahm die Klägerin ihren Einspruch zurück und erklärte den Rechtsstreit ebenfalls in der Hauptsache für erledigt. Kurze Zeit später erließ das FA einen inhaltsgleichen Änderungsbescheid, den es nunmehr auf eine andere Rechtsgrundlage stützte. Das von der Klägerin erneut angerufene FG hob den Zweitbescheid auf, weil die rechtlichen Voraussetzungen der vom FA beabsichtigten Korrektur des Steuerbescheids im Urteilsfall nicht gegeben gewesen seien.

Der BFH hat entschieden, dass das FA wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht erneut einen Änderungsbescheid erlassen durfte.

Indem das FA den ersten Änderungsbescheid mit Zustimmung der Klägerin aufgehoben und den Rechtsstreit ohne jede Einschränkung oder Bedingung für erledigt erklärt habe, sei auf Seiten der Klägerin ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Dieser habe zu einer wirtschaftlichen Disposition der Klägerin geführt, da die Klägerin durch die Rücknahme des Einspruchs und die korrespondierende Erledigungserklärung ihren verfahrensrechtlichen Besitzstand aufgegeben habe. Infolge des zielstrebigen und vorbehaltslosen Hinwirkens des FA auf eine umgehende Beendigung des Finanzgerichtsprozesses "ohne Urteil" habe sie uneingeschränkt darauf vertrauen dürfen, die Finanzbehörde werde sich dazu auch künftig nicht mehr in Widerspruch setzen.




2. Einkommensteuer

Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bei Nutzung durch mehrere Steuerpflichtige


Nutzen mehrere Steuerpflichtige ein häusliches Arbeitszimmer gemeinsam, kann jeder Nutzende die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer, die er getragen hat, einkünftemindernd geltend machen, sofern die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG in seiner Person vorliegen (Änderung der Rechtsprechung).

Der Abzug der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer setzt voraus, dass dem jeweiligen Steuerpflichtigen in dem Arbeitszimmer ein Arbeitsplatz in einer Weise zur Verfügung steht, dass er ihn für seine betriebliche/berufliche Tätigkeit in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise tatsächlich nutzen kann.

Nutzen Ehegatten bei hälftigem Miteigentum ein häusliches Arbeitszimmer gemeinsam, sind die Kosten jedem Ehepartner grundsätzlich zur Hälfte zuzuordnen.

BFH  v. 15.12.2016, VI R 53/12

Hinweis:

Gem. § 9 Abs. 5 S. 1 i. V. m. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten abziehen. Dies gilt gem. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 2 EStG nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesem Fall ist die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 € begrenzt.

Die Kläger sind Ehegatten, die in ihrem Einfamilienhaus gemeinsam ein häusliches Arbeitszimmer mit einer Größe von ca. 26 qm nutzten. Das Einfamilienhaus gehörte beiden jeweils zur Hälfte. Die auf das häusliche Arbeitszimmer entfallenden Kosten betrugen in den Streitjahren zwischen 2.800 € und 2.900 €. Das FA berücksichtigte die Kosten für das Arbeitszimmer als Werbungskosten nur i. H. v. 1.250 € und ordnete diesen Betrag den Klägern je zur Hälfte zu.

Der BFH hat entschieden, dass die Aufwendungen bei beiden Ehegatten bis zum Höchstbetrag i. H. v. 1.250 € geltend gemacht werden können.

Der BFH ist bislang von einem objektbezogenen Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer ausgegangen. Die abziehbaren Aufwendungen waren hiernach unabhängig von der Zahl der nutzenden Personen auf 1.250 € begrenzt. Nunmehr kann der Höchstbetrag von jedem Steuerpflichtigen in voller Höhe in Anspruch genommen werden, der das Arbeitszimmer nutzt, sofern in seiner Person die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 2 EStG erfüllt sind.

Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung geht der BFH nun von einer personenbezogenen Anwendung des Höchstbetrags aus. Der auf den Höchstbetrag von 1.250 € begrenzte Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer ist jedem Steuerpflichtigen zu gewähren, dem für seine betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, wenn er in dem Arbeitszimmer über einen Arbeitsplatz verfügt und die geltend gemachten Aufwendungen getragen hat. Der BFH hat zudem klargestellt, dass die Kosten bei Ehegatten jedem Ehepartner grundsätzlich zur Hälfte zuzuordnen sind, wenn sie bei hälftigem Miteigentum ein häusliches Arbeitszimmer gemeinsam nutzen.

Im Streitfall hatte das FG jedoch nicht geprüft, ob der Klägerin in dem Arbeitszimmer ein eigener Arbeitsplatz in dem für ihre berufliche Tätigkeit konkret erforderlichen Umfang zur Verfügung stand.

Berechtigung zur Vornahme von AfA bei mittelbarer Grundstücksschenkung

Die Regelung des § 11d Abs. 1 Satz 1 EStDV ist auch im Fall einer mittelbaren Grundstücksschenkung anzuwenden.

Wird dem Steuerpflichtigen eine der Erzielung von Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung dienende Eigentumswohnung (einschließlich Inventar) im Wege der mittelbaren Grundstücksschenkung zugewendet, kann er mithin nach § 11d Abs. 1 Satz 1 EStDV AfA auf die vom Schenker getragenen Anschaffungskosten vornehmen.

BFH  v. 04.10.2016,  IX R 26/15

Hinweis:

Bei den nicht zu einem Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern, die der Steuerpflichtige unentgeltlich erworben hat, bemessen sich die Absetzungen für Abnutzung nach den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Rechtsvorgängers zuzüglich der vom Rechtsnachfolger aufgewendeten Herstellungskosten und nach dem Prozentsatz, der für den Rechtsvorgänger maßgebend sein würde, wenn er noch Eigentümer des Wirtschaftsguts wäre, vgl. § 11d Abs. 1 S. 1 EStDV.

Die Klägerin erwarb eine Eigentumswohnung zum Gesamtkaufpreis von 475.000 €. Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erwerb der Eigentumswohnung erhielt die Klägerin schenkweise Geldbeträge i. H. v. 400.000 € von ihrem Vater sowie 200.000 € von ihrer Mutter. Die Schenkungen standen unter der Auflage, dass die Geldbeträge ausschließlich dem Erwerb der Eigentumswohnung zu dienen bestimmt waren. Die Klägerin nutzte die Eigentumswohnung zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Bei der Überschussermittlung wurde die AfA von dem Kaufpreis für das Gebäude berechnet. Das FA kürzte die AfA um die im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Erwerb der Wohnung geschenkten Geldbeträge i. H. v. insgesamt 600.000 €.

Der BFH hat entschieden, dass die Klägerin die AfA für das Gebäude ansetzen kann.

Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) ist der Vorgang, mit dem jemand ein Grundstück, das er verschenken will, sich zunächst selbst übertragen lässt, um es sodann an den zu Beschenkenden weiter zu übereignen, vergleichbar (und damit einkommensteuerrechtlich in gleicher Weise zu behandeln) wie der Vorgang, in dem der Schenker dem Beschenkten das Grundstück dadurch verschafft, dass er es für eigene Rechnung unmittelbar an den Beschenkten übereignen lässt. Denn nicht nur bei der unmittelbaren, sondern auch bei der mittelbaren Grundstücksschenkung trägt der Schenker die Anschaffungskosten des Grundstücks als derjenige, für dessen Rechnung das Grundstück auf den Beschenkten übertragen wird.

Ist aber der Schenker mit Anschaffungskosten belastet, kann es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht von Bedeutung sein, ob er dem Beschenkten das Grundstück selbst oder einen für die Anschaffung des Grundstücks erforderlichen (zweckgebundenen) Geldbetrag zuwendet. Vor diesem Hintergrund ist es geboten, die Regelung des § 11d Abs. 1 S. 1 EStDV auch im Fall der mittelbaren Grundstücksschenkung anzuwenden. 




3. Körperschaftsteuer

Dauerdefizitärer Betrieb eines Freibades


Die steuerliche Begünstigung sog. dauerdefizitärer Tätigkeiten einer von der öffentlichen Hand beherrschten Kapitalgesellschaft gemäß § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG setzt voraus, dass die Kapitalgesellschaft das Dauerverlustgeschäft selbst ausübt.

Übt die Kapitalgesellschaft das Dauerverlustgeschäft nicht selbst aus, weil sie den verlustbringenden Freibadbetrieb an einen eingetragenen Verein verpachtet hat, ist die Verpachtungstätigkeit nicht begünstigt.

BFH v. 09.11.2016, I R 56/15

Hinweis:

Nach § 8 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 und S. 2 KStG sind bei Kapitalgesellschaften die Rechtsfolgen einer vGA i. S. des Abs. 3 S. 2 nicht bereits deshalb zu ziehen, weil sie ein Dauerverlustgeschäft ausüben. Ein Dauerverlustgeschäft liegt u. a. vor, soweit aus verkehrs-, umwelt-,
sozial-, kultur-, bildungs- oder gesundheitspolitischen Gründen eine wirtschaftliche Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird.

Alleingesellschafterin der Klägerin, einer GmbH, ist die Stadt A. Die Klägerin ist Organträgerin zweier Organgesellschaften, der Stadtwerke A-GmbH und der A-Bädergesellschaft mbH. Die Bädergesellschaft betrieb ursprünglich ein Bad und ein Freibad. Später wurde ein Trägerverein gegründet und die Bädergesellschaft verpachtete an diesen Betrieb. Der schriftliche Pachtvertrag sah u. a. die Zahlung einer Pacht vor, die sich nach der Höhe der Abschreibungen bei der Bädergesellschaft bemessen sollte. Des Weiteren sollte die Bädergesellschaft einen Zuschuss gewähren. Das FA ging davon aus, dass es sich bei den Zahlungen an den Trägerverein um verdeckte Gewinnausschüttungen handelt. Die Ausnahmeregelung gem. § 8 Abs. 7 KStG sei nicht erfüllt, da das Freibad nicht unmittelbar von der Klägerin sondern vom Trägerverein betrieben worden sei.

Der BFH hat entschieden, dass die Voraussetzungen für die steuerliche Begünstigung dauerdefizitärer Tätigkeiten der öffentlichen Hand nicht vorliegen.

Auch der dauerdefizitäre Betrieb eines Freibades ist dem Grunde nach steuerlich begünstigt. Den gesetzlichen Regelungen ist jedoch die klare Aussage zu entnehmen, dass die Begünstigung nur dann gewährt wird, wenn die Gemeinde entweder mit einem eigenen Betrieb (BgA) die dauerdefizitäre Tätigkeit selbst ausübt oder eine kommunale Eigengesellschaft (Kapitalgesellschaft, deren Anteile sich in der Hand einer Kommune befinden) das Freibad selbst betreibt. 

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