Rechtsprechung KW 04-2017

 

1. Verfahrensrecht

Irrige Beurteilung als Voraussetzung, einen Steuerbescheid gemäß § 174 Abs. 4 AO zu ändern 


Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids gemäß § 174 Abs. 4 AO wegen der irrigen Beurteilung des Sachverhalts in einem anderen Bescheid, welcher auf Initiative des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten geändert wurde, ist nicht ausgeschlossen, wenn das FA bei Erlass des ursprünglichen Bescheids wissentlich fehlerhaft gehandelt hat. Der Steuerpflichtige soll vielmehr im Falle seines Obsiegens mit einem gewissen Rechtsstandpunkt an dieser Auffassung festgehalten werden, soweit derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist (Bekräftigung der BFH-Rechtsprechung, vgl. Entscheidungen vom 21. Mai 2004 V B 30/03, BFH/NV 2004, 1497, und vom 10. Mai 2012 IV R 34/09, BFHE 239, 485, BStBl II 2013, 471).

BFH  v. 25.10.2016, X R 31/14

Hinweis:

Nach § 174 Abs. 4 S. 1 AO können, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird.

Der Kläger erhielt 2005 Kirchensteuererstattungen, die aus den Veranlagungszeiträumen 2000 bis 2003 resultieren. Mangels ausreichender in diesem Jahr gezahlter Kirchensteuer enstand ein Erstattungsüberhang. Diesen verrechnete das FA in 2009 mit der im Jahr 2004 gezahlten Kirchensteuer. Den danach noch verbleibenden Erstattungsüberhang verrechnete das FA mit den KiSt-Zahlungen des VAZ 2003. Der Kläger hatte mit der gegen den ESt-Bescheid 2004 gerichteten Klage Erfolg. Das FG entschied, dass Erstattungsüberhänge bei der KiSt auch nicht aus Vereinfachungsgründen in das jüngste Zahlungsjahr zurückgetragen werden können. Das FA änderte daraufhin die ESt-Bescheide 2000 – 2003 gem. § 174 Abs. 4 AO. Der Kläger vertrat die Aufassung, dass für die Veranlagungen 2000 – 2003 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei und eine Änderung gem. § 174 Abs. 4 AO ausscheide.
Der BFH hat entschieden, dass die Änderung gem. § 174 Abs. 4 AO zulässig war und noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids gem. § 174 Abs. 4 AO wegen der irrigen Beurteilung des Sachverhalts in einem anderen Bescheid, welcher auf Initiative des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten geändert wurde, ist nicht ausgeschlossen, wenn das FA bei Erlass des ursprünglichen Bescheids wissentlich fehlerhaft gehandelt hat. Der Steuerpflichtige soll im Falle seines Obsiegens mit einem gewissen Rechtsstandpunkt an dieser Auffassung festgehalten werden, soweit derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist. Insofern muss der Steuerpflichtige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen.




2. Umsatzsteuer

Ort der Lieferung bei Versendung über Konsignationslager


Für die Lieferortbestimmung nach § 3 Abs. 6 UStG muss der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststehen. Eine Versendungslieferung kann dann auch vorliegen, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert wird.
BFH v. 20.10.2016, V R 31/15

Hinweis:

Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung gemäß § 3 Abs. 6 S. 1 UStG dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt.

Ein spanischer Lieferant verkaufte in Spanien produzierte Waren an einen deutschen Abnehmer. Die Lieferung der Waren wurde über ein in Deutschland gelegenes Lager abgewickelt. Die Warenlieferungen erfolgten auf der Grundlage sog. zentraler Lieferverträge. Die konkreten Liefermengen und -daten waren festgelegt in Lieferabrufplänen, die der Abnehmer täglich oder in Abständen von wenigen Tagen an den Lieferer übersandte. Nur diese Lieferabrufpläne waren juristisch bindend. Die Lieferabrufe enthielten stets Freigaben für die nächsten 12 Wochen im Voraus und bestimmten für diesen Zeitraum die Liefertermine. Das FA gelangte zu dem Ergebnis, dass alle über das inländische Lager ausgeführten Lieferungen trotz der Versendung aus Spanien im Inland steuerpflichtig seien.

Der BFH hat entschieden, dass Versendungslieferungen mit Lieferort in Spanien vorliegen.

Der Lieferort bestimmt sich nach § 3 Abs. 6 S. 1 UStG, wenn die Person des Abnehmers bereits bei Beginn der Versendung feststeht. Unter dieser Bedingung kann eine Versendungslieferung auch dann vorliegen, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert wird.  Eine  Lieferung gilt  auch dann gem. § 3 Abs. 6 S. 1 UStG als bei Beginn der Versendung ausgeführt, wenn die Ware von dem mit der Versendung Beauftragten zunächst in ein inländisches Lager gebracht und erst nach Eingang der Zahlung durch eine Freigabeerklärung des Lieferanten an den Erwerber herausgegeben wird (entgegen Abschn. 1a.2 Abs. 6 S. 1 UStAE). Eine Einlagerung für den beim Beginn der Versendung bereits feststehenden Abnehmer wie im Streitfall nur für kurze Zeit, um den produktionsbedingt beim Abnehmer für die nächsten Tage und Wochen benötigten Warenbedarf zu decken, unterbricht noch nicht die im Streitfall in Spanien begonnenen Versendungen.




3. Einkommensteuer

Besteuerung der Barabfindung bei einem Aktientausch nach Einführung der Abgeltungsteuer


Ein Barausgleich, der anlässlich eines Aktientausches für vor dem 1. Januar 2009 erworbene ausländische Aktien gezahlt wird, ist nicht gemäß § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG 2009 in eine einkommensteuerpflichtige Dividende umzuqualifizieren, wenn die Anteile wegen Ablaufs der einjährigen Veräußerungsfrist bereits steuerentstrickt waren.

BFH  v. 20.10.2016, VIII R 10/13

Hinweis:

Wird bei einem Aktientausch zusätzlich ein Barausgleich gezahlt, unterliegt dieser nach § 20 Abs. 4a S. 2 EStG der Einkommensteuer. Die Vorschrift wurde mit der Abgeltungsteuer eingeführt und ist erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden.

Im Urteilsfall hatte die Klägerin im Jahr 2006 Aktien einer US-amerikanischen Firma erworben. Im Jahr 2009 erfolgte aufgrund der Übernahme der Gesellschaft ein Aktientausch. Zusätzlich wurde der Klägerin aufgrund des Minderwerts der beim Tausch erhaltenen Aktien eine Barabfindung gezahlt. Das FA legte die Barabfindung nach § 20 Abs. 4a S. 2 EStG als Kapitalertrag i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG der Besteuerung zugrunde.

Der BFH hat entschieden, dass die Barabfindung in dem vorliegenden Fall nicht zu steuerpflichtigen Kapitaleinkünften gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG führte.

§ 20 Abs. 4a S. 2 EStG setzt voraus, dass es sich bei dem Barausgleich um eine steuerbare Gegenleistung handelt. Dies war vorliegend nicht der Fall. Da die Klägerin die eingetauschten Aktien vor der Einführung der Abgeltungsteuer erworben und länger als ein Jahr gehalten hatte, unterlag der Tausch der Aktien, der einem Veräußerungsgeschäft gleich steht, nicht der Besteuerung,  § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG a.F. i. V. m. § 52a Abs. 11 S. 4 EStG). Eine Besteuerung würde dazu führen, dass der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise auf bereits steuerentstrickte Aktien zugreift.

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