Verfahrensrecht (KW 48-2016)

Abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen

Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO wird in einem gesonderten Verwaltungsverfahren getroffen.

Eine gesetzliche Frist, nach deren Ablauf eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO nicht mehr beantragt werden kann, bestand vor Inkrafttreten des § 171 Abs. 10 Satz 2 AO nicht.

Die Ermessensentscheidung nach § 163 AO darf jedoch ein Zeitmoment berücksichtigen.

Gerichte haben Verwaltungsanweisungen nicht selbst auszulegen, sondern nur darauf zu überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist.

BFH  v. 21.07.2016, X R 11/14

Hinweis:

Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.

Das FA behandelte die Veräußerung von drei Wohnungen der Klägerin als gewerblichen Grundstückshandel und erfasste 1995 Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Während des diesbezüglichen Klageverfahrens erging 2001 eine Entscheidung des BFH, nach der die Voraussetzungen eines gewerblichen Grundstückshandels der Klägerin vorlagen. Allerdings sei nach Auffassung der Klägerin das FA aufgrund eines BMF-Schreibens gehalten, die Rechtsprechung des BFH nicht auf die Klägerin anzuwenden.

Der BFH hat entschieden, dass die Ablehnung des Erlassantrages ermessensfehlerfrei war.

Verfahrensrechtlich wird die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO, die keines Antrags bedarf, in einem gesonderten Verwaltungsverfahren getroffen. Sie ist sodann ein für die Festsetzung einer Steuer bindender Verwaltungsakt und damit Grundlagenbescheid für die Steuerfestsetzung i.S. des § 171 Abs. 10 AO, die folglich nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO anzupassen ist.

Die Ermessensausübung im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO darf auch ein Zeitmoment berücksichtigen. Es existiert zwar vor der Einfügung von § 171 Abs. 10 S. 2 AO keine gesetzliche Frist für die Entscheidung nach § 163 AO. Es allerdings  ist eine dem Grunde nach zulässige Ausübung des Ermessens, einen verhältnismäßig spät gestellten Erlassantrag im Hinblick auf den Zeitablauf zwischen Zahlung und Antragstellung abzulehnen und sich dabei an den zu Rechtsverlusten führenden gesetzlichen Fristen zu orientieren. Sowohl die Bestandskraft der zugrundeliegenden Steuerfestsetzung als auch die Zahlung der betreffenden Steuerschuld, die 2003 schon vorgenommen worden war, lagen bei Antragstellung im Jahre 2010 bereits zumindest sieben Jahre zurück. Das ist eine Zeitspanne, bei der die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme wegen Zeitablaufs jedenfalls ernstlich in Betracht kommt. Sie überschreitet sowohl die regelmäßige Festsetzungsverjährungsfrist als auch die regelmäßige Zahlungsverjährungsfrist.

Das Urteil betraf einen Altfall vor Einführung des § 171 Abs. 10 S. 2 AO. Diese Regelung ist auf alle Fälle anwendbar, in denen die Festsetzungsfrist am 31.12.2014 noch nicht abgelaufen war. Nunmehr muss nach § 171 Abs. 10 S. 2 AO der Erlassantrag vor Ablauf der Festsetzungsfrist bei der zuständigen Behörde beantragt werden.

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